— Vidi, audi, dixi. —

Wider die electrische Krankheit

Hölzerne Mechanik riecht besser als Electrik.
Es macht nicht nur Spaß Cembalo - hier mein Silbermann Spinett - zu spielen. Es macht auch Spaß an ihrer Holzmechanik herum zu basteln. Was übrigens viel besser riecht als das leidige Löten gebrochener Kabel. Der Pfeil zeigt an, wo ich einen Springer entnommen habe, welcher - von der Taste hochcatapultirt - mittels Kieles/Plectrums die Saite anreißt. Electrische Keyboards werde ich höchstens noch nutzen, wenn ich außwärts spiele, wo mir die 40 kg des Spinetts zu schwer sind. Ich bin aber ja doch eher Bläserin und Geigerin und so wird dies eher nicht, oder selten, vorkommen.


Einst trat ich mit einem Swingtett bei einer Veranstaltung für Senioren auf. Alte Leute sind häufig lärmempfindlich und so kamen schon nach wenigen Takten Klagen. Angewidert drehte unser Guitarrist seinen Verstärker herunter, was die Beschwerden jedoch nicht zum Verstummen brachte. Letztlich blieb ihm nichts anderes üblich, als den Stecker zu ziehen, um rein accustisch weiter zu spielen. Der Contrabaßist tat das gleiche. Für mich war dies der schönste Auftritt den wir je gehabt hatten. Ich schob mir Dämpfer in die Posaune und sang völlig ohne Microphon.

Mir ist die allgemeine seelische Abhängigkeit von Verstärkern im Jazz völlig unbegreiflich. Viel zu schnell greift man auch zu Microphonen, um etwa ein Piano zu verstärken. In einem Club ist völlig in Ordnung, wenn die letzten Tische keinen vollen Sound haben. Es gibt viele die während der Music Gespräche führen und die müssen dann nicht gegen Music anschreien. Wer wirklich nur Music genießen will geht nach vorne, der Rest ist mit unterdrückter Hintergrundmusic bestens bedient. Verstärkeranlagen haben dazu geführt, daß das Publicum Rücksicht auf Künstler verlernt hat. Was zu einer climafeindlichen Escalation geführt hat: Je lauter das Publicum brabbelt (oder gar johlt) desto weiter dreht die Band ihre Anlage auf. In der Folge werden Verstärkeranlagen immer wattstärker gekauft. Dieser Unsinn findet auch im Jazz statt, dabei läßt sich gerade diese Music hervorragend accustisch spielen.

Ich selbst wurde leider in den 90ern von der electrischen Krankheit befallen - obwohl ich von handgemachtem, überwiegend unverstärktem traditional Jazz her kam. Doch die Idee, ein Band - ja sogar ein ganzes Symphonie-Orchester - für mich alleine sein zu können, fascinirte mich. Ehrlich und autentisch konnte ich mit Synthesizern allerdings nur im Soul agiren, wenn ich mich auf synthetische Klänge beschränkte. Dies schloß die in dieser Scene gängigen Piano- und Streichersounds mit ein, mehr aber auch nicht. Durchaus kann ein etwas technobeeinflußter Soul so überzeugen. Mein synthetisches Symphonie-Orchester war hingegen zwar durchaus beeindruckend, doch wenn ich ehrlich war, letztlich ein armseliger Abklatsch handgespielter Symphonik. Gegen Ende der 90er zog es mich zurück zur rein handgespielten, natürlichen Music. Ich lehnte nicht allein Synthesizer ab, sondern darüber hinaus jede Electrificirung von Music. Nichts klingt schöner und wärmer, als eine unverstärkte Guitarre. Keine noch to teure Verstärkeranlage kann diese Natürlichkeit und Wärme erzeugen. So wie meine Violine viel schöner klingt, als jeder noch so hochwertige Digitalmitschnitt, wäre auch ihre Verstärkung ein kalter Abklatsch. Hinzu kommt, daß Verstärkeranlagen Nebengeräusche produciren und electrisch müffeln. Wie minimal das Rauschen, Brummen und gelegentliche Übersteuern auch ist, ich finde es höchst unangenehm. Hinzu kommt der ständige Kampf mit Kabeln, Aufbauen, sowie die vorangehende Schlepperei. Hier gilt eben auch "weniger ist mehr": Einfach mit dem Geigenkoffer hereinspacirt, das Instrument hervorgeholt, gestimmt und dann schöne Music gemacht. Den ganzen blöden Soundcheck kann man sich dann sparen. Für mich steht Music an centraler Stelle - jedes unnötige Drumherum hält mich nur vom Spielen ab. Spielte ich Guitarre, würde ich mir eine Dobro oder vergleichbar laute Guitarre kaufen. Diese Instrumente sind teuer, doch wenn man sich das Geld für electrische Verstärkung schenkt, kann man es gleich mit in die Guitarre investiren.

Natürlich rettet man kaum das Klima, indem man als Guitarrist seinen Kofferverstärker abschaltet. Die Escalation an Wattstärke, welche in moderne Livemusic eingerissen ist, muß aber als Teil eines climaschädigen System betrachtet werden. Es ist Teil jenes wahnwitzigen schneller, höher, weiter, doller, lauter, von dem die Menschheit sich verabschieden muß, um sich nicht selbst auszurotten. Es gibt vieles worauf sich ohne weiters verzichten ließe, was dann auch noch die Lebensqualität verbesserte. Und das gilt gerade auch in der Music. Ich war immer genervt, wenn ich mein Keyboard in die Steckdose stöpseln mußte, um dann den Einschaltprozeß abzuwarten und angestrengt ins Display zu starren und meine Harpsichords (Cembali) aufzurufen. Bei Ebay habe ich kürzlich ein Spinett für 300 Euro ergattert: Aufklappen und spielen. Weniger ist mehr. Electronische Keyboards fasse ich nicht mehr an. Viel lieber reparire ich die Mechanik des über 50 Jahre alten Instrumentes. Cembali sind technisch recht einfach concipirt und sollten Einzelteile verschleißen, kann man sie aus kleinen Holzleisten sehr leicht herstellen. Man kann auch selbst neu bekielen, wobei ich Vogelfedern bevorzuge, welche die Saiten anreißen. Die einzige Electrik, mit der ich am Instrument arbeite, ist mein digitales Aufnahmegerät - ein sogenannter Handyrecorder, der nur minimalen Stromverbrauch hat. Momentan präsentire ich solche Mitschnitte im Internet. Ich frage mich aber bereits nach dem Sinn und Nutzen meines Onlinedaseins....

Unbestreitbar ist, daß Internetrecherche mir in vielen Bereichen weitergeholfen hat. Nicht allein habe ich so etwa Wilhelmine, meine geliebtes Spinett, gefunden. Ich habe auch medicinische Informationen gewonnen, die meiner Gesundheit dienen. All dieses verbraucht jedoch bei weitem nicht die Megabytes, welche meine eigene Internetpräsentation aufwendet - vor allem meine MP4-Videos. Ist der Internet-Wahnwitz die nächste Krankheit, die ich besiegen muß? Was habe ich davon, daß meine Music im Internet steht? Hat dies zu socialen Contacten mit Gleichgesinnten geführt? Habe ich so jemals Mitspieler für eine Band gefunden? Könnte ich meine Digitalaufnahmen nicht auch offline kostenlos anbieten? Alles was ich dazu weiterreichen müßte, wäre eine kleine Speicherkarte. Allen jenen, die meine Music dann erwürben, würde ich dann persönlich begegenen, was ein großer Vorteil ist. Das Internet hat mein Consumleben in der Tat besser gemacht. Ich kann jedoch nicht sagen, daß es mein Socialleben besser gemacht hätte. Es hält mich eigentlich eher von socialen Contacten ab, weil ich viel Zeit da hinein investire. Nichts gegen den Aufsatz, den ich hier gerade verfasse. Doch könnte ich diesen genauso gut handschriftlich verfassen, um ihn dann als öffentlichen Vortrag zu präsentiren. In Sachen Musikvideos ist das Speichervolumen meiner Domain in absehbarer Zeit erreicht. Ich hatte mich schon gefragt, ob es nicht geizig sei, in der heutigen Zeit nur 1 Gigabyte zu gewähren, wo man schon in Terrabyte denkt. Andererseits kann ich es auch als Befreiung deuten. Und ist eine solche Begrenzung nicht auch climafreundlich? Galantewelt.de in bilderstürmerischer Manier zu kündigen wäre extreme Übertreibung. Es stehen ja doch ideelle Ideen und Werte dahinter. Doch spätestens wenn ich nichts mehr hochladen kann, beginnt ein neues Leben - jenseits von Bytes und Bits. Was immer gehen wird, sind Aufsätze wie dieser hier, die nichts als Peanuts sind. Ich finde aber, daß sich meine Music aus dem Internet hinaus, ins wirkliche Leben begeben sollte.

Demoiselle Amelise

HOME