— Vidi, audi, dixi. —

Instrumentalunterricht dient nicht den Musen sondern dem Schüler

Komm auf den Teppich runter!
Pusteblumen vor meiner Balkontür als Allegorie auf die natürlichen Grenzen pseudoreligiöser Entrücktheit mancher Instrumentallehrer, welche sich als eine Art Hohepriester des Musendienstes begreifen. Manch einem muß man verdeutlichen, was Natürlichkeit bedeute und was einfach nur aufgeblasen sei.


Unter den Instrumentallehrern, welche auf dem Markt der Music-Pädagogik anzutreffen sind, befinden sich etliche Musenjünger, die weit über das Ziel hinaus schießen. Freilich ist es nett, wann immer ein Schüler schließlich auch Music studirt. Dies ist jedoch kein Grund, das Diletantentum gering zu achten. In der Regel verhelfen Instrumentallehrer ja doch Durchschnittsschülern zu einem sehr schönen und gesunden Hobby. Das ist im Regelfall ihre eigentliche Aufgabe.

Vielfach scheint es so zu sein, daß Instrumentallehrer mehr ihrer künstlerischen Eitelkeit dienen, als ihren Schülern. Natürlich dient es dem Ruf des Pädagogen, wenn man gar einen Virtuosen hervor bringt. Wer aus dieser Motivation heraus jedoch seine Schüler unter Erwartungsdruck setzt, verspielt diesen Ruhm. Es ist einfach nicht realistisch, zu erwarten, es müsse ein Jeder zum perfecten Musenjünger werden, um endlich in den Olymp aufzusteigen, wo man Kinder mit den Musen zeugen solle, welche sich etwa in der Staatsoper Berlin auf die Bretter bringen ließen. Dem durchschnittlichen Music-Pädagogen sollte klar sein, daß er in der Regel Diletanten hervor bringen wird. Diletantismus ist nichts Negatives, sondern wesentlich gesünder als musicalischer Professionalismus. Ähnlich dem Leistungssport, ist professionelles Musiciren ja doch eine gesundheitliche Belastung. In einem Trompetenforum genoß ich einen gewissen Docenten, welcher im Jazzfach einer bedeutenden Hochschule sein Wesen treibt. Dieser Mensch verurteilte mich in meiner Eigenschaft als Amateurin, obwohl ich längst in der Lebensmitte angekommen bin und auf keinen Fall jemals Trompete studiren werde. Das ist in etwa so, als erwartete ein Schwuler von seiner Umwelt, es müsse ein jeder ebenfalls schwul werden. Ich will den gesunden Berufsstolz eines professionellen Musikers gerne toleriren. Wenn der aber in Verachtung Hobby-Musikern gegenüber ausartet, wird es weltfremd und lächerlich.

Persönlich grenze ich mich von der sogenannten Classic ab. Landläufiger Weise wird Bach da mit hinein gerechnet, obwohl seine Stilepoche eigentlich zur Vorclassic gehört. Auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen, daß Bach bereits gewisse Attitüden aufwies, welche beispielsweise auch typisch für etwa Mozart waren. Händel und Telemann waren beileibe nicht immer freundlich zu ihren Musikern, doch standen sie für eine Musicirpraxis, die den Ausführenden creative Freiheiten ließ. Der jüngere Bach konnte sich diesen damals üblichen Gepflogenheiten schwer widersetzen. In späteren Jahren wurde er jedoch zum Tyrann, welcher bedingungslose Notentreue verlangte. Was damals unüblich war und deshalb Bachs Musiker aufbrachte. In Mozarts Generation wurde der Hochmut dann auch typisch für Componisten, die zu einem gewissen Ruhm gelangt waren. So bedeutete Mozart seinem Fürstbischof, seine Künsterschaft überhübe ihn eigentlich jeglicher fürstlicher Dignität und daß er von daher sozusagen was Besseres sei. So redete dieser Schnösel mit seinem Chef (um einmal außen vorzulassen, dass es sich um eine hohe Standesperson handelte)! Durchaus löblich ist, wenn jemand den Schneid hat, sich notfalls gegen seine Vorgesetzten zu behaupten, doch ist diese Arroganz einfach unerträglich. Leider scheint es, als hätten auch heute noch, sich etliche Berufsmusiker genau diese Arroganz zueigen gemacht. Bei dem Durchschnittsbürger kommt das überhaupt nicht gut an. Man zieht es dann auch vor, den eigenen Sprößling bei dem betreffenden Lehrer abzumelden, um einen leidlicheren zu bevorzugen. Vielleicht ist die Kunst vor allem deshalb brotlos, weil etliche ihrer Jünger sich um das eigene Brot bringen. Was nicht allein auf dem Musikmarkt gilt, sondern für jeden der freiberuflich tätig ist. Da ist Bescheidenheit immer Notwendigkei, Hochmut hingegen Unmöglichkeit.

Eines muß diesen Schwärmern wieder und wieder gesagt werden: Der Mensch hat nicht der Music zu dienen! Die Music ist weder Religionsersatz noch Ideologie, sondern etwas sehr Schönes und Nützliches und hat sich den Bedürfnissen des Menschen unterzuordnen. Außer man ist professionell und unterliegt dem Anforderungsdruck des Marktes. Wenn der Endverbraucher erwartet, daß die Sopranistin sich die Stimme aus dem Hals brüllt, ist es verdammt-noch-mal hart, stimmlich unbeschadet durch eine Sängerlaufbahn zu kommen. Es sind aber keinesfalls die Musen im Olymp, die es etwa so wollten, sondern dahinter steht der verkorkste Geschmack des durchschnittlichen Theaterbesuchers. Eine ähnliche Erfahrung machte ich bereits im zarten Alter mit meiner Schüler-Dixielandband: Eines meiner Soli lief ziehmlich aus dem Ruder, indem ich einige falsche Töne erwischte und nicht jenes umsetzten konnte, was mir eigentlich vorschwebte. Dennoch erhielt ich frenetischen Applaus, weil mein Posaunensolo überaus laut heraus fetzte, was die Leute offensichtlich schätzten. Minuten später spielte ich ein anderes Solo, das mich zutiefst glücklich machte. Auch zuhause, beim Nachhören des Audio-Cassentenmitschnittes, kam ich zu dem Ergebnis, dies wäre in der Tat das beste Solo gewesen, welches ich bislang zuwege gebracht hatte. Der Publicums-Applaus dafür war indessen kümmerlich. Wahrscheinlich führte mich diese Erfahrung zu der Erkenntnis, daß der Beruf des Profimuikers keinesfalls erstrebenswert sei, weil man dann vollkommen abhängig von genau diesen Ignoranten wird. So sieht leider der Markt aus, dem sich Berufmusiker unterzuordnen zu haben. Wahrscheinlich schuffen sich diese armen Geknechteten deshalb eine Ersatzreligion, in der sie sich als Hohepriester des Musendienstes sehen. Unterrichtend müßte man eigentlich zufriedener sein, weil Instrumentalschüler in der Regel musicalisch interessirter sind als ein Durchschnittspublicum. Ich entwickelte seinerzeit schon im zarten Alter gewisse Ansätze von Expertentum und mein Posaunenlehrer sollte eigentlich glücklich mit mir gewesen sein. Er begegnete mir jedoch auch mit einer gewissen Arroganz. Als Jazzfan kannte ich meine Idole der 20er bis 40er Jahre genauestens und hörte wöchentlich sogar The Bigband Countdown auf dem U.S.-Americanischen AFN-Radio. Dementsprechend war mein Englisch: Schon damals sprach ich mit unverkennbar Americanischem Accent. Immerhin kam mein Lehrer mir entgegen, indem er mir Noten zuschob, welche dem Swingposaunisten Tommy Dorsey zugeschrieben wurden. Er sprach dies jedoch wie "Dörsey" aus und bestand darauf, daß meine Aussprache falsch sei - "die Americaner" sagten "Dörsey". Natürlich war er der bessere Posaunist und ich konnte eine Menge von ihm lernen. Hier zeigte er sich jedoch als arroganter Ignorant und dies wahrscheinlich weil ich 'nur' diletantischer Jazzfan war. Tommy Dorsey war damals mein Hauptidol und das merkwürdige Englisch meines Lehrers konnte vor dem meinen schlecht bestehen. Damals zahlten meine Eltern für den Unterricht und ich hatte kaum die Option, meine Posaunenlehrer zu wechseln wie Leibwäsche. Heute würde ich den Mann einfach absägen, um zum Nächstbesten weiter zu ziehen.

Momentan spiele ich mit dem Gedanken, Geigenstunden zu nehmen. In meinem Berliner Kiez wimmelt es nur von Instrumentallehrern. Im weiteren Umkreis gibt es Nachbarkieze, wo es ähnlich aussieht. Warum sollte ich mich mit einem hochmütigen Tyrannen herumquälen? Ich möchte einen Lehrer, der mich versteht und nicht jemanden der mich im Grunde seines Herzens verachtet, weil ich Amateurin bin und immer Amateurin bleiben will.

Demoiselle Amelise

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