— Vidi, audi, dixi. —

Die 'Klassik'-Mafia — "Sind Sie etwa Bach?"

Music-Pädagogik ist Folter!
Der Instrumental-Lehrer als Folterknecht dreht das Rad der Streckbank - gewidmet vor allem jenen Geigen- und Klavierschülern, die grausamste Folter an ihren Gliedern erdulden. Zu nehmen mit einer Priese hintersinniger Ironie.


Grob gesagt, war Bach der erste Sclaventreiber der sogenannten "klassischen" Music. Ich spreche hier von Noten-Sclaven, welche nicht allein unfähig sind, ohne Notenvorlage zu spielen, sondern denen das freie, creative Musiciren auch verboten ist. Andere Componisten, wie etwa Händel, erwarteten von Musikern die Befähigung auch improvisiren zu können. Hingegen hat Bach seine Werke voll ausnotirt und jegliches Abweichen hiervon untersagt. Was damals absolut als Freiheitsberaubung gesehen und critisirt wurde.

Während der jüngere Bach sich Anmaßungen kaum erlauben konnte, läßt sich der ältere in gewisser Weise in den Begriff der 'Klassik' einordnen. Dumm ist dieser Begriff auf jeden Fall, er hat sich aber nunmal eingebürgert. 'Klassik' ist einfach ein pauschaler Überbegriff für den Normalverbraucher, ohne den man diesem kaum erklären kann, um welchen Ausschnitt der Music-Geschichte es eigentlich geht. Persönlich beschwere ich mich über diese Pauschalisirung nicht, denn so kann ich mich und meine Music einfach abgrenzen, indem ich mich zur "Vorklasssik" bekenne. Was für mich soviel heißt wie: vor Aufkommen der Idiotie. Die eigentliche Classic, im fachlichen Sinne, war ja die Wiener Classic. Hier wurde es zum Standard, daß der Componist als Übermensch über den Ausführenden thronte, um darüber hinaus auch noch abschätzig auf das Laienvolk im Publicum herab zu schauen. Leider hat dies langfristig dazu geführt, daß auch im Bereich der Vorklassik heute kaum noch jemand ohne Notenvorlage spielen kann. Was der Music-Philosophie des 17. und frühen 18. Jahrhunderts völlig entgegen läuft. Von der 'Klassik'-Mafia ist dies jedoch so gewollt.

Wer ist nun die 'Klassik'-Mafia? Zum einen gehört dazu die Music-Industrie, welche abhängige Consumenten braucht und eher nicht do-it-yourself-Mentalität. Bevorzugt ist der relativ uncritische Käufer von Tonträgern und Noten. Leute wie ich, die Bachs Themen auf YouTube aufrufen, um am heimischen Spinett die Accorde auszutüfteln und dann einfach alles im persönlichen Stil zu covern, braucht man nicht. Auch klassische Music-Pädagogen brauchen mich nicht, welche die nächste Gruppe innerhalb der 'Klassik'-Mafia bilden. Daß Bach eigentlich auch Autodidact war, verschweigen sie gern. Viel lieber ziehen sie Noten-Sclaven heran, verneinen deren Recht auf Creativität und diffamiren das freie Experimentiren. Fürs Geschäft zahlt sich einfach aus, wenn sie ihre Opfer in sclavischer Abhängigkeit halten.

Die dritte Gruppe sind die academisch studirten Berufsmusiker. Diese Leute brauchen den relativ uncritischen Concert-Gänger um sich mit Music über Wasser zu halten. Handelt es sich auch noch um studirte Componisten, so sind diese am allerwenigsten an einer musicalisch creativen Bevölkerung interessirt. Das sind die Monopolisten, welche auf Laien und Amateure herab schauen. Würden Hänschen und Lischen Müller sich als Feierabend-Componisten betätigen, wäre es aus mit dem Monopol. Ich zum Beispiel stecke bis über beide Ohren in meiner eigenen Music und habe weder Zeit noch Lust, anderer Leute Werk zu bestaunen. Wer mich zu einem Concert einlädt, bekommt immer die Gegenfrage: "Kann man bei euch auch einsteigen?" Nein? Dann nicht - bietet demnächst mal eine Session an, dann komme ich. Ich hasse es, passiv dazusitzen - ich will selber etwas machen. Solche Leute braucht die 'Klassik'-Mafia ganz bestimmt nicht. Es braucht nicht lange erläutert zu werden, daß all diese ausübenden Profis mehr oder weniger mit der Music-Industrie sympathisiren, oder sogar direct cooperiren. Berufsmusiker der sogenannten 'Klassik' profitiren ja mit von deren System. Und dazu gehört, daß man die breite Masse musicalisch unmündig halten will.

Die dahinter stehende Ideologie ist jedoch perfider, als auf den ersten Blick scheint. Hierzu gehören hinterhältige Klischees, welche auch mich lange Zeit am Creativsein in der vorklassischen Generalbaß-Music hinderten. Etwa die Quintenparallelen-Lüge: Es heißt, nur wer bewußt Quintenparallelen einsetze, dürfe diese auch compositorisch verwenden. Im Falle Bachs wird immer betont, er hätte stets gewußt was er tat. Beruft man sich dann auf Bach, heißt es sofort: "Sind Sie etwa Bach?" So will man den Standesunterschied zwischen den Übermenschen und dem Fußvolk aufrecht erhalten. "Du nicht, Du bist doch zu blöd - zurück ans Notenpult - setzen!" Erst die eingehende Beschäftigung mit Ciaconas (Französisch Chaconnes) hat dazu geführt, daß ich Quintenparallelen sogar als unerläßlich ansehe. Was keineswegs allein für Ciaconas auch in der Vorklassik gilt. Seitdem kann man mir überhaupt nichts mehr vormachen. Music, die Quintenparallelen ängstlich vermeidet, klingt einfach schrecklich fade! Quintenparallelen sind nicht allein erlaubt, sie sind oftmals sogar das Salz in der Suppe der Composition! Quintenparallelen sind Pflicht für jeden Componisten - ob academisch oder autodidactisch (so wie Bach). Autodidacten sei hiermit gesagt: "Du darfst nicht nur, sondern Du sollst!" Und solltest Du in Deinem Satz keine bessere Möglichkeit als eine Quintenparallele finden können, liegt das nicht an fehlendem Talent. Die muß dann einfach da hinein und jedes ängstliche Umgehen klänge schrecklich langweilig.

Niemand braucht die genannten Institutionen der 'Klassik'-Mafia. Die ideale Music wird von Amateuren gemacht und kann autodidactisch erlernt werden. Dabei verkriecht man sich nicht nur zuhause, um einsam vor sich hin zu üben, sondern geht auch regelmäßig hinaus in die Scene, um mit anderen Music zu machen. Im Jazz traf ich hier meine eigentlichen Lehrmeister - Leute die älter waren und wesentlich mehr Erfahrung hatten. Learning by doing heißt das Concept, wobei man ständig wertvolle Tips bekommt. In der sogenannten Alten Music läßt sich dieses Concept noch viel besser umsetzen, weil hier alle Urheberrechte auf Original-Compositionen erloschen sind. Amateure können in diesem Bereich ohne Probleme eigene Labels gründen, um selbsteingespielte Tonaufnahmen kostenlos im Internet anzubieten. Spielt man Händels Cammer-Music von gekauften Noten ab, lassen sich resultirende Tonaufnahmen nicht urheberrechtsfrei verwenden. Bearbeitet man Händels Melodien jedoch selbst, oder improvisirt darüber frei, ist das Resultat gemeinfreie Music. Diese Art natürlichen Musicirens ist am gesündesten. Music-Pädagogen, die hingegen ihre Schüler zu spieltechnisch optimirten Höchstleistungen antreiben, mißbrauchen die Music und ihre Schüler. Virtuosität ist cörperliche und seelische Folter. Wer sich dieses Ziel setzt, leidet an einer masochistischen Zwangsneurose. Warum muß man die schwierigsten Dinge, die sich irgenein krankes Hirn einmal ausgedacht hat, unbedingt nachspielen? Muß man einfach nicht. Man muß auch nicht Music studiren wollen, um dann hörnerv- und geisttötende Arbeit im Orchestergraben zu erdulden. Das Concept, das die conventionelle Music-Pädagogik jungen Music-Schülern anbietet, ist eine Mogelpackung. "Klassische" Music ist nicht schön, sondern grausam. Es kann nicht Ziel natürlicher Sangeslust sein, daß man seine Stimme später einmal mit den Spitzentönen von Mozarts Königin der Nacht malträtirt. Hiervon verglich ich einmal Einspielungen verschiedener Sopranistinnen in eine CD-Abteilung. Am lockersten brachte Elisabeth Schwarzkopf diese Töne heraus, doch klangen sie auch hier ein wenig zu forcirt. Dererlei Übertreibungen sind für jede Stimme ungesund - für jeden dem Frau Schwarzkopfs Leichtigkeit abgeht sind sie absolut tödlich! Es gibt viel schönere Melodien, die man singen könnte - wozu diese oberflächliche Fascination der Hochton-Acrobatik? Bei Jazztromptern gibt es eine ähnlich kranke Hochton-Hysterie, die unsinnig und nutzlos ist. In der Alten Music haben Trompetenvirtuosen wie Maurice André mich über Jahrzehnte davon abgehalten, Generalbaß-Music auf der Trompete zu improvisiren. Erst die Beschäftigung mit der vorbachschen Music hat mir gezeigt, daß Hochtöne auch hier keine Stilnotwendigkeit sind. Music-Lehrer, die den Weg in dererlei Unfug hinein weisen, braucht kein Mensch, der eine natürliche und gesunde Einstellung zur Music hat. Man braucht eigentlich auch die commerciellen Music-Labels für Alte Music nicht, die sich durch Amateurprojecte ersetzen ließen. Music wäre dann keine Ware mehr, sondern frei zugänglich und erlernbar. Wären die Menschen und ihre Music frei, würde es Amateur-Einspielungen auf verschiedenen Niveaus geben. Die besten davon wären allemal hörenswert, sowie lehrreich für jeden der Music erlernen möchte. Den Profilmusiker könnte und sollte man dann einfach aussterben lassen.

Leider wagt heute niemand mehr, mir Fragen wie, "Sind Sie etwa Bach?" zu stellen. Zwar bin ich als Componistin noch immer Autodidactin (so wie Bach), doch sind meine Kenntnisse mittlerweile so umfassend, daß niemand es wagt mich anzugreifen. Die 'Klassik'-Mafia weiß, daß sie im Glashaus sitzt und was passirt, wenn Leute wie ich mit argumentativen Steinen werfen. In anderen Worten, hat man dort auf Sand gebaut, die Wände sind wackelig und ohne jedes Fundament. Das aller fundamentloseste aber ist die Noten-Sclaverei. Noten-Sclaven sind keine Musiker. Das sind einfach Menschen, die functioniren wie Lochstreifen-Leseautomaten. Diese Tropfen arbeiten genau wie ein electrisches Klavier, wo man Lochstreifenrollen benötigt, um Music abspielen zu können. Man könnte sie auch mit einem digitalen Music-Abspielgerät vergleichen, welches lauter Einsen und Nullen liest. Für solchen Unfug wurde Livemusic nicht erfunden.

Demoiselle Amelise

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