— Vidi, audi, dixi. —

Virtuosentum und Frühnationalsocialismus

Werde dein eigener Hofcompositeur!
Moderne Keyboards sind ideal, um sich musicalisch von den alten Meistern zu emancipiren und sein eigener Herr zu werden.


Während des 17. und frühen 18. Jahrhunderts war der Hofcomponist Beschaffer spielbaren Materials und musicalischer Animateur. Sein Berufsbild ähnelte sehr dem moderner Medienberater, welche Amateuren Internet oder Amateurrundfunk ermöglichen. Hofcapellen waren nämlich in der Regel Amateurorchester und die Landesfürsten stellten bevorzugt Lakaien ein, welche ein Instrument beherrschten. Mitglieder der Fürstenfamilie waren dabei oft Mitspieler dieser Amateurbesetzungen. So lief es vor der Epoche des Übermenschentums, die mit Mozarts Generation begann, um seine höchste Ausprägung im nationalsocialistischen Führerkult zu finden.

Es ging oft betont familiär an den Höfen zu und Hausmusic hatte einen hohen Stellenwert. Jemand mußte hier die Rolle des musicalischen Leiters spielen und das war in der Regel nicht der regirende Fürst selbst, sondern eine in Sachen Music competentere Person. Spielte der Fürst auch selbst mit, so saß er im Orchester und fügte sich. Am Französischen Hof war dies der "directeur de la musique royale", was eine treffendere Berufsbezeichnung ist als die des Componisten. Jean Baptiste de Lully war in der Tat Hofcomponist am Hofe des Sonnenkönigs, doch war das Componiren nicht sein complettes Berufsbild. Zunächst einmal war er Manager, der dafür verantwortlich war, daß die Music am Hofe functionirte. Das Erfinden von Melodien war hierbei gar nicht einmal die schwerste seiner Aufgaben. Manch musicalisch ungebildete Strohkopf pfeift spontane Melodien vor sich her, die keiner je zuvor vernommen hat. Ungleich schwerer ist, eine solche Melodie dann in eine accordische Form zu bringen und für ein Orchester zu arrangiren. Umfassendes Wissen über Harmonielehre haben nur sehr-sehr wenige Musiker. Solche Leute waren begehrt, denn sie waren in der Lage, einen Sauhaufen diletantischer Lakaien, Princen und Princessinen zu einer musicalischen Ordnung zu führen, welche allen beteiligten Freude bereitete. Musicalischer Diletantismus ist das Schönste in der Welt, bedarf jedoch in der Regel der Anleitung. Die musicalische Welt der Vorclassic gehörte über weite Strecken den Amateuren, was eine sehr gesunde Sache gewesen ist.

Der moderne Begriff des classischen Componisten ist mit weltfremder Hysterie überfrachtet. Je geringer die musicalische Bildung ist, desto verzückter prahlen die Leute vom vermeintlichen Genie alter Meister. Als würde ein Teil genialischen Glanzes auf einen abfärben, wüßte man nur ein paar Lebensdaten vom alten Meister zu erzählen. In Wahrheit haben diese alten Meister doch Melodien gestohlen, um sie anschließend in eine neue Form zu bringen. Im 17. Jahrhundert war man da ehrlicher und sah den Componisten als jemanden der etwas zusammensetzte (componere, [lat.]: zusammenstellen), um etwa ein Bühnenwerk mit Musik zu versehen. Die schönsten Momente in Bachs Oratorien sind oftmals die Choräle, die er dort hinein bastelte. "Oh Haupt voll Blut und Wunden" war nicht Bachs Melodie, welche tatsächlich von einem weltlichen Liebeslied des frühen 17. Jahrhunderts stammte. Die Kirche hatte sie lange vor Bach gestohlen, um religiöse Texte damit zu unterlegen. Wirklich hieß das Lied "Mein Sinn ist mir verwirret, das hat ein Jungfrau than...." Wenn ich von Stehlen spreche, verurteile ich keines Falls, sondern meine es ironisch. Auch ich stehle, wann immer ich componire - jeder Componist stiehlt. Bei Händel wird es immer sehr offensichtlich, wenn er etwa seine berühmte Sarabande von Louis Couperin klaut. Ich vermute, er hat sich dabei nicht im geringsten genirt, sonst hätte er das Werk mehr modificirt. Die Leute wollten Music hören, andere wollten spielen und verlangten beständig nach Noten. Und die Aufgabe des Componisten war, Material aufzutreiben, das man entweder passiv genießen oder activ spielen konnte. Wenn der Componist dies gut machte, erlangte er zuweilen einen gewissen Ruhm, der jedoch mit dem Schwachsinn, den man heute mit einem Mozart anstellt, nicht vergleichbar war. Letzteres gehört in die Zeit des Vor- beziehungsweise Frühfaschismus. Dazu gehört auch der Begriff des Virtuosen, welcher in Wahrheit eine musicalische Seuche umschreibt, die immer dort grassirt, wo Artistik anstelle von Tonkunst tritt. Auch der Begriff des modernen Virtuosen gehört in die Vornationalsocialistische Übermenschcathegorie. Auf YouTube wohnte ich neulich dem Guiness-Weltrecored im Schnellsteppen bei. Ich selbst lernte in jungen Jahren Stepptanz und konnte feststellen, welche Hacke-Ballen-Combination da jeweils klapperte. Während ich immer der Auffassung gewesen war, Ziel der ganzen Stepperei sei eigentlich das Tanzen, standen die Probanden einfach nur auf der Stelle und klapperten so schnell sie konnten. Derjenige, der die höchste Klapperfrequenz zustande brachte, wurde anschließend aufs Schild erhoben. Die Massen finden dergleichen immer gern bemerkenswert, weil sie keine Lust haben, sich ernsthaft mit den Qualitäten tänzerischen Ausdrucks auseinander zusetzen. Es waren auch beleibe nicht Rhythmen die da gesteppt wurden - es war einfach nur dummes Geräusch. Gleiches gilt auch für classische Music, die auf der Effecthascherei von Finger- oder Stimmacrobatik beruht. Bei letzterer handelt es sich oft um das vorzeitige Ausbrennen junger Sopranistinnen, denen an Theatern gern Rollen zugeschoben werden, die eine junge Stimme nicht ungeschadet übersteht. Was ein weiteres Kennzeichen des Faschismus ist, daß er nämlich auf den Menschen selbst keinerlei Rücksicht nimmt.

Die Idee des Frühfaschismus beruht auf dem Begriff des Übermenschen, auf dem der spätere Nationalsozialismus fußte. Anstelle des Monarchen tritt der bürgerliche Übermensch, dem eine geradezu gottgleiche Aura zugeschrieben wird. Bezeichnender Weise sah Hitler sich als verkannter Künstler, um sein 'Genie' schlußendlich in Zerstörungswut und Massenmord gipfeln zu lassen. In gleicher Weise wurden die Componisten classischer Music hochstilisirt. Dazu gehört auch das allgemein bewunderte "absolute Gehör" - eine erworbene Behinderung die man besser nicht haben sollte. Es gibt nämlich beileibe keine absolute Tonhöhe, weil in der Natur alle Tonfrequenzen bruchlos fließend sind. Einigt die Allgemeinheit sich auf einen anderen Cammerton, kann der Meister sein Instrument an den Nagel hängen. Das hören die Schwärmer jedoch gar nicht gern. Noch heute geraten Anhänger classischer Music in eine Art religiösen Eifers, wenn man an dem von ihnen vereehrten Meister kratzt. Ich mache dann gern darauf aufmerksam, daß die alten Meister den gleichen Mief gefurzt haben wie jeder andere Mensch auch. Im übrigen bin ich der Meinung, daß jeder Mensch schöpferisch sein sollte, anstatt das Werk anderer geistlos anzuhimmeln. Lernt ein Tasten- oder Saiteninstrument, beschäftigt euch mit Harmonielehre, stehlt dann irgendein Thema von Bach und bringt es in eine Form die euch gefällt. Bach mag dann interessirt von der Wolke herab blicken und anmerken, daß ihm diese Variation eigentlich noch besser gefällt als seine ursprüngliche. Kommt doch mal auf den Teppich und hört mit dem dummen, lächerlichen Geschwärme auf.

Demoiselle Amelise

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