Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 9.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Soll man von einer galanten Epoche reden?

Hier recken Geschichtsfreunde empört den Zeigefinger und wollen, daß die galante Generation dergleichen nicht beanspruchen dürfe, weil doch eine Epoche immerhin ein bedeutender Zeitabschnitt sei. Der zeittypische Begriff galante Zeit macht sie ohnedies mißmutig, indem sie sich an das „b“-Wort gewöhnt haben – wie die Majorität ja stets jeden Schwachsinn für heilig befindet, wenn er nur lange genug vorherrschend gewesen ist.

Doch klären wir den Begriff Epoche zunächst einmal anhand eines Original-Wörterbuches:

„Epoque, s.f. [epocha] eine gewisse Zeit, wovon man eine Jahr-Rechnung anfängt, als wie von Christi Geburth an.“ (Johann Leonhard Frisch, Frantzösisch-Teutsches Wörterbuch, 1719)

Na ja, vielleicht schauen wir einmal in die Nachschlagewerke der Nachwelt, ob man uns dort vielleicht für epochal befinden möchte...

„Epoche (die, -, -n) bedeutsamer Zeitabschnitt [gr.]“ (Trautwein Fremdwörter, 2002)

Nun, wer wollte wagen, uns als unbedeutsam abzutun? Dies sind wir gewiß nicht! Aber schauen wir weiter...

„ ... in der Geschichte ein größerer Zeitabschnitt, der vielfach durch größere Ereignisse markiert ist.“ (Großes Lexikon, Isis-Verlag, 199?)

Jesus wurde bei uns nicht geboren, Ludwig XIV. nicht durch eine Revolution hinweg guillotinirt, im spanischen Erbfolgekrieg keine A-Bombe geworfen. Schaut man aber in letztgenanntem Lexicon nach dem „B“-Wort...

„Barock, Epoche der euop. Kunst- und Kulturgeschichte, löste Ende des 16. Jh. die Spätgotik bzw. die Renaissance ab...“

... entdeckt man genauso wenig Epochales – außer daß wir seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert angeblich zwischen „Todesangst“ und „Sinnlichkeit“ schwanken sollen.* Da wir die Berechtigung des „B“-Wortes sowieso nicht anerkennen,** bestreiten wir natürlich auch die Existenz einer solchen Epoche. Was aber könnte an der galanten Zeit in der Tat epochal sein?

Nun, die Galanterie markirt einen culturellen Neuaufbruch, indem sie die überkommene, alte Welt radical ablöst. Dies hat auch im heiligen Römisch-Teutschen Reich maßgeblich mit dem innovativen Regime Versailles zu tun: Französische Mode, französische Künste und Wissenschaften, französische Höflichkeit in Sitten, Gebärden und Worten – ja Denkungsarten – verändern die Teutschen. Auch wenn die Nachwelt lieber sähe, wenn etwa Köpfe rollten: Die galante Generation erlebt in der Tat eine epochale Umwälzung.

„Unsere Zeiten/ darff man auf gewisse Art noch wohl die neue Welt nennen/ denn es haben sich die Menschen dergestalt verändert/ daß wohl bald alle Kundschafften/ von denen ehemaligen Gewonheiten dürfften verloren gehen...“ (Meletaon, 1713***)

Wenn sich die Nachwelt für diese Umwälzungen nicht interessirt, heißt das noch lange nicht, daß sie etwa unbedeutsam seien. Die Frage ist nur, ob wir wirklich auf dem Begriff „Epoche“ herum reiten wollen. Es ist beispielsweise ja auch die Verbreitung von Computer und Internet etwas zutiefst Epochales, indem dies eben die Welt umkrempelt. Doch was hat die Menschheit davon, wenn man den Stempel „Epoche“ drauf knallt? Ist es für den galanten Alltag wirklich erheblich, ob wir in der Tat „epochal“ sind? - Gewiß, wenn andere Zeitalter diesen Anspruch erheben, so werden wir uns dies keinesfalls absprechen lassen wollen. Doch eigentlich ist der Begriff „Epoche“ nichtssagend: Sensationslüstern, vordergründig, pathetisch, großspurig, platt. Ja, er hat was zutiefst Populärwissenschaftliches – selbst dann, wenn er aus dem Munde eines Geschichtsprofessors erschallt.

Überlassen wir den Begriff „Epoche“ jenen, die gern mit vorgeblichen Geschichtskenntissen prahlen. In den Medien des 21. Jahrhunderts gibt man offenherzig zu, daß eine jede Zeit sich sein Geschichtsbild zurecht flicke, welches zutiefst subjectiv geprägt sei. Es macht sich ja auch kaum jemand die Mühe, Originalquellen complett zu lesen. Würde man dies nämlich tun, müßte man sich endgültig von liebgewordenen Geschichtsbildern trennen. Wir aber keuen hier keine Klischees wieder, sondern interessiren uns für die reale galante Welt. Und die findet man nur in Quellen.****

Will man in die reale galante Welt eintauchen, kommt man mit gängigen Geschichtsbildern nicht weiter. Im Gegenteil verhindern diese Bilder, daß man dorthin 'gelangt'. Daher muß man die überkommene Geschichtsschreibung, zugunsten von Originalbüchern, verwerfen. Im Zusammenhang mit dieser Geschichtsschreibung gilt es auch den Begriff „Epoche“ anzuzweifeln. Er dient letztlich zu nichts anderem als der academischen Bemäntelung von Geschichtsdogmen, indem man Zeitabschnitte herausgreift, einseitig markirt und bewertet.***** - Doch eigentlich war die Eingangsdefinition von Johann Leonhard Frisch gar nicht mal verkehrt:

„Epoque, s.f. [epocha] eine gewisse Zeit, wovon man eine Jahr-Rechnung anfängt, als wie von Christi Geburth an.“ (Johann Leonhard Frisch, Frantzösisch-Teutsches Wörterbuch, 1719)

Genauso berechtigt wäre es, etwa eine solch epochale „Jahr-Rechnung“ mit der anbrechenden Zeit von Reformation und Entdeckungen zu beginnen. Das sogenannte „Barock“ ist hingegen ein reines Phantasieproduct und beruht auf äußerst vagen kunstschwärmerischen Interpretationen und Behauptungen zu einer erdachten Zeitströmung, die es in diesem Zusammenhange nie gegeben hat. Daß es im frühen 18. Jahrhundert aber eine galante Zeit gibt, werden wir in der kommenden Ausgabe vielfältig belegen - natürlich anhand von Quellentexten.


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* Ein beliebtes Klischee, derjenigen Generationen, die zwischen Angst vor Atom- und Umweltkathastrophen sowie „freier Liebe“ (i.S. der alten 68er) vegitiren. Noch schöner documentirt sich deren eigene Zerrissenheit in der Lustseuche Aids ...

** Daß der Begriff „Barock“ schlicht Unsinn ist, ergibt sich bereits aus der allerersten Ausgabe dieser Zeitung. Wir werden diese Frage noch in einer gesonderten Ausgabe vertiefen ...

*** Im Articel „Schrot und Korn“ hatten wir dieses Citat schon einmal. Es stellt tatsächlich eine der centralen Aussagen Meletaons dar, welche eingehender zu betrachten sind. Daß nämlich die Galanterie um 1700 eine tiefgreifende culturelle Umwälzung bedeutet.

**** Eigentlich sollte der Quellenanteil dieser Reihe wesentlich höher ausfallen, als dies momentan der Fall ist. Es zeigt sich jedoch immer wieder, daß die schiefen Bilder conventioneller Geschichtsschreibung so fest gefügt sind, daß es eines höheren Argumentations-Aufwandes bedarf, sie auf zubrechen. Wir betrachten die galante Welt nicht von außen, sondern begeben uns mitten hinein, um als deren Fürsprecher Position zu beziehen.

***** Zu bestreiten ist auch jeglicher Vorrang academischer Berufshistoriker, gegenüber dem geschichtlich interessirten Bürger. Diese Academiker arbeiten vielfach für staatliche Institutionen und sprechen dem einzelnen Bürger gern historisches Urteilsvermögen – sprich: Geschichtsmündigkeit – ab. Letztlich geht es also durchaus auch um die allgemeine Freiheit des Denkens, gegenüber Dictatsversuchen staatlicher Institutionen. Vor allem geht es darum, den Stellenwert des Geschichtsautodidacten, des Privatgelehrten, zu unterstreichen: Es ist einfach nicht wahr, daß der Mensch academisch 'geweiht' sein müsse, um competente Aussagen über Geschichte zu machen. Die Beschäftigung mit Quellen emancipirt den angeblichen 'Laien' gegenüber dem studirten Berufshistoriker.


Zur Ehrenrettung der galanten Generation.