Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 4.


Juny, Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Lully contra Corelli

Generalbaß-Music unterscheidet man vornehmlich in Nationalstile, wobei die Music-Stile aus Frankreich und Norditalien um 1700 dominiren. Hier ist die gesamte Music-Welt des Abendlandes in zwei erbitterte Parteien geteilt: Auf der einen Seite die Lullisten, welche dem Frantzösischen Stylo* den Vorzug geben – auf der anderen die Anhänger des Italiänischen Styli.

Die Lullisten berufen sich auf die Tonkunst des großen Franzosen Jean-Baptiste de Lully – nicht allein oberste Music-Instanz in Versailles, sondern musicalische Autorität in ganz Frankreich, europaweit aber anerkannt, bewundert und vielfältig imitirt. - Die Italiänische Partey beruft sich maßgeblich auf Corelli, welcher um 1700 den Italiänischen Stylum insonders prägt. Gleichzeitig gibt es auch das Bestreben, diese zwei Nationalstile zu vermischen, um die Vorzüge beider zu vereinen. Deshalb trifft auch das in Generalbaß-Music geübte Ohr öfters auf Music-Stücke, die sich kaum eindeutig zuordnen lassen, worüber die Kenner - sowohl um 1700, als auch die um 2000 – trefflich streiten können. Das muß niemanden Wunder nehmen, denn nach 300 Jahren hat sich in den Grundzügen nichts geändert: Auch die Nachwelt bevölkert solche Generalbaß-Freunde, welche entweder italienischer oder französischer Music den Vorzug geben und ein sociales Miteinander beider Fractionen ist nicht immer möglich.

Unbeleckten kann man diesen Gegensatz anhand des Widerstreites zwischen Rock und Pop verdeutlichen. Der Italiänische Generalbaßstil kommt ähnlich frei und experimentell daher, wie Jazz; beides strebt nach improvisatorischen und virtuos solistischen Hochleistungen - ja tendirt zu einer gewissen Zügellosigkeit. Der Italiänische Stylus ist dem Ohr nicht immer bequem, mitunter schrill, überbordend und zerrt zartbesaiteten Gemütern allzu leicht, mittels wilder Kaskaden, an den ach so empfindlichen Kopfnerven. Trotzdem kommt es zu Stilmischungen, wie es ja auch Rock-Pop und Pop-Rock gibt, wo ja auch niemand mit Bestimmtheit sagen kann, was worin denn eigentlich überwiege. Music wird immer subjectiv wahrgenommen und viele hören das heraus, was sie heraus hören wollen. Mehr ist zum Italiänischen Stylo nicht an zubemerken – den Rest führe man sich mittels Noten und Music-Conserven zu.

Ähnlich wie sich die bürgerliche Welt der 'Normalos' eher von Pop, als von Rock beschallen läßt, consumirt man um 1700 recht viel französische Music. Nur, daß man hier nicht in die Disco geht, sondern auf den Tantz=Boden, oder auf einen Ball. Nicht auf jeder Party wird um 2000 getanzt und so verhält es sich auch mit der Assemblée um 1700, wo es auf jeden Fall zum guten Ton gehört, Wein und Confect an zubieten. Getanzt wird im Römisch=Teutschen Reich vornehmlich die Menuet, ansonsten Couranten und Passepieds, sowie darüber hinaus englische und französische Gruppen-Tänze zu mehr als zwei Personen. Der Durchschnittsmensch geht kaum über eine einfache Menuet hinaus, doch fast bei jeder Gesellschafts-Veranstaltung findet sich der Eine oder Andere ein, der den Tantzmeister eingehender consultirt hat. Mancher Fortgeschrittene wird darüber zum Virtuosen, welcher in galanten Gesellschaften ein recht gern gesehener Gast ist (solange er nicht zu eingebildet ist, um seine Kunst allzuweit heraus hängen zu lassen). So kommt es, daß zur galanten Frantzösischen Music eben auch anspruchsvollere Tänze, wie Sarabande, Gigue, Chaconne ect. zählen.

Auch der Unbeleckte ahnt mittlerweile: Der Frantzosche Styl besteht in netter Tanz- und GebrauchsMusic, welche durchaus anspruchsvoll, empfindliche Kopfnerven indes weitgehend schont. Und so ist es eben nicht verwunderlich, daß hartgesottene Corelli-'Freaks' das Galante als einfältig und spießig verachten - ähnlich wie Kobold Pumuckl die viel zu braven Heinzelmänchen. Mancher Galanterie-Hasser ist um 1700 schlicht zu ungeschickt zum Tanzen, oder leidet sonst an schrecklichen Complexen, um der galanten Welt jeden Spaß zu mißgönnen. Vergessen wir aber nicht alle die Leute, welche sowohl den Frantzoschen, als auch den Italiänischen Stylum mögen und ein jedes zu gegebener Zeit genießen. Ein, zwei italienische Sonatensätze können auch eine Hochzeit, oder einen Ball auflockern, sodaß die Tanzfreudigen einmal ruhen möchten.

Im 21. Jahrhundert drucken Music-Wissenschaftler gern in Bücher und CD-Beihefte hinein, daß sie nicht tanzen mögen. Ganz so drücken sie das nicht aus, sie bestreiten jedoch vehement, daß Suiten tanzbare Music enthielten. Dies alles dient dem Freunde alter Music zur Erleichterung, sodaß auch er nicht den Korb einer Dame fürchten muß, welche sonst allen Grund hätte, um ihre Zehen zu fürchten. In Wahrheit ist keiner von beiden gefeit, denn Suiten enthalten um 1700 GebrauchsMusic. Einen CD-Player besitzt man leider noch nicht, und so muß eine jede tanzfreudige Gesellschaft zunächst einmal klären: „Sind eventuell Musicanten unter uns?“ - Hinweis vom Maître:

„Sind ja viele Musicanten vorhanden/ darf man sie eben nicht nach Hause schaffen/ sondern sie können in unterschiedliche Chöre abgetheilet werden/ daß sie einander ablösen/ wo zumal der Ball lange währet/ und die Personen immer tanzen.“ - Tanzmeister Louis Bonin (1712)

So wie man Anno 2000 CDs zu erwerben pflegt, gibt es Anno 1700 Notenhefte mit Suiten zu kaufen, wonach sich vorzüglich tanzen läßt. Unter den Freunden historischen Tanzens pflegen sogar die Anfänger immer noch nach solchen Suiten zu tanzen – nur eben nach CDs mit Bach, Händel & Co. - Die Welt von Anno 1700 aber ist ständig auf der Suche nach Noten mit tanzbarer Music (in den Suiten-Editionen um 1700 steht nirgends geschrieben, daß Tanzen verboten sei). Eine solchermaßen gedruckte und verlegte Suite findet gleichwohl viele galante bürgerliche** Käufer (von denen zahlreiche leidlich bis sehr gut tanzen). Bachs erste 'Orchester'***- Ouverture ('Orchester'-Suite Nr. 1) eignet sich beispielsweise hervorragend zum Tanzen! Es ist doch anmaßend von nachgeborenen 'Gelehrten', fest und steif zu behaupten, niemand hätte je danach getanzt.

Liebe Musiker und Theoretiker alter Music, bitte seien Sie so ehrlich und geben zu: „Wir haben Bammel vor'm Tanzen und wünschen uns die tanzfreie Zone, wo wir uns sicher wähnen.“ - Dies ist (im Gegensatz zu vor 300 Jahren) doch kein Problem mehr, denn im 21. Jahrhundert ist noch keiner zu einer Menuet auf den Tantz=Boden gedrängt worden.


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* Bei den ja hoheitlichen Ländernamen ist um 1700 Großschreibung in jedem Falle üblich. Lateinische Substantive (wie hier Stylus) werden stets sauber durch declinirt.

** Die Nachwelt läßt die Majorität modebewußter Bürgerlicher gern aus, um einseitig eine Minoriät von Hofleuten zu beleuchten.

*** Den Ausdruck „Orchester“ verwendet man um 1700 so eigentlich nicht. Man hat Suiten keinesfalls so orchestral besetzt, wie man das fälschlicherweise im 20. Jahrhundert tat, als Generalbaß-Music von herkömmlichen Symphonie-Orchestern zu tonalem Brei verwurschtet wurden. Man begegnet solchen Monstrositäten zwar noch immer, jedoch hat sich die historische Aufführungspraxis inzwischen durchgesetzt.


❀ Stöpsel raus, Generalbaß kostet null Atomstrom! ❀