Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 16.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Waren wir Polens gute Nachbarn?

Schon unter den Askaniern schaute man von Brandenburg aus begehrlich gen Osten. Denn dies war die einzige Möglichkeit, sich weiter aus zudehnen. Der sogenannte Wenden-'Kreuzzug' Albrecht des Bären verdrängte bereits ein slavisches Volk. Die Wenden hatten ursprünglich bis an die Havel gesiedelt. Der Vorwand, sie zu christianisiren, muß als bösartiger Hohn in ihren Ohren angekommen sein, denn die Wenden waren ja bereits christlich gewesen. Unter den Hohenzollern setzte sich dieses Bestreben fort: Preußen, ursprünglich ein Königlich Polnisches Lehen an Brandenburg, wurde vom großen Churfürsten endgültig einverleibt. Sein Sohn, Fridrich III., krönte sich unlängst, nämlich im Jahre 1701, zum Preußischen König Fridrich I. - Damit wären wir in der Gegenwart, also in der galanten Zeit, angelangt.

Fridrich I. ist ein relativ friedliebender König. Er hatte sich, für die Erhebung Preußens zum Königreich, nicht allein des Käysers Einvernehmen gesichert, sondern auch das der Crone Polen. Augustus II. von Polen, auch Churfürst von Sachsen, gab sein Einverständnis gern, denn er war auf wohlgesonnene Nachbarn angewiesen. Die Polnische Krone hatte er nämlich unter der Bedingung erlangt, daß er der Republik Polen das Schwedisch besetzte Lieffland wieder verschafft.* Dazu mußte er sich mit der bedeutenden Militärmacht Schweden anlegen, was nunmal starke Bündnispartner vorraus setzt. Vom Polnischen Parlament wurde August II. dennoch für seine Einwilligung in die Erhebung Preußens zum Königtum critisirt. Denn den Polnischen Magnaten schmeckt dies überhaupt nicht. Gleichzeitig zeigten sie wenig Neigung, ihren König mit Polnischen Nationaltruppen zu unterstützen, der mit seinen Sächsischen Kräften bereits, benebst kaukasischen Hilfstruppen, in Lieffland gegen Schweden rang. Auf dem Warschauer Senatus Consilium beschloß die Republik lediglich ...

„... eine gute Armee an die Grentzen zu legen/ und dieselbe dadurch vor einem feindlichen Einfall zu beschützen ...“ (Ordinari Post-Zeitung, aus Braunschweig, vom Mai 1700)

Alles Weitere zu regeln, hätte der Senatus Consilium außerdem beschlossen, einen „Reichstag“ ein zuberufen. Der Termin dazu sollte erst im December sein. Tatsächlich aber fand er erst am 30. Mai 1701 statt! Diese abwartende Politik sollte der Republik Polen teuer zu stehen kommen, denn schon Ende 1700 schlug der Schwede Augusts Bundesgenossen, den Czaaren, vernichtend. Jetzt konnten sich auch die Sächsischen Truppen nicht mehr gegen die Schwedische Übermacht halten. Polen stand auf einmal ganz allein gegen den Vormarsch Schwedens. In der Zwischenzeit überredete ein geschickter Französischer Gesandter etliche Polnische Magnaten, Frieden mit Schweden zu schließen, um sich anschließend gegen den Czaaren zu wenden und Smolensk zu erobern. August II. bestand jedoch darauf, seinen Weg consequent fort zu führen. Als Carl XII. von Schweden endlich in Polen einrückte, zeigte sich, daß Polen alles andere als eine zeitgemäße Militärmacht ist: Gleich zu Beginn der entscheidenden Schlacht von 1706 flohen die Polnischen Truppen vor den Schwedischen Salven. Die verbleibenden Sachsen aber wurden vollkommen aufgerieben. August daselbst wurde aus Polen vertrieben, bis Czaar Peter die Schweden drei Jahre später schließlich entscheidend geschlagen hat - womit wir in gegenwärtigem Jahre 1709 angekommen sind.

Die schwerfällige, ständig zerstrittene Polnische Republik aber ist zur Modernisirung anscheinend unfähig. Mit ihren Pluderhosen, weiten Gewändern und Federbüschen scheinen ihre Reitertruppen im vorletzten Jahrhundert stehen geblieben zu sein. Mit deren Krummsäbeln und Lanzen ** läßt sich freilich gegen Türcken, Cosacken und Tartaren bestehen. Moderne Europäische Armeen sind aber etwas völlig anderes: Ihre Soldaten sind derartig perfect geschliffen, daß alles zusammen wie eine einzige Maschine abläuft, wie die typischen Commandos zeigen:

„Ergreifft die Patron, halt sie hoch, Propffer von Munde, bringt sie in lauff, ergreifft den ladestock, Ziehet ihn heraus, verkürtzt ihn an der Brust, bringt ihn in lauff ...“ (Der Teutsche Soldat) ***

Dementsprechend effectiv sind auch die Salven der nach wie vor einschüssigen Vorderladermusketen. Doch jenen Geschoßhagel, der die prächtigen Polnischen Reiter so unerwartet aufschreckte, hätte man von Russischen Truppen genauso zu erwarten gehabt. Der Czaar hat sein Land nämlich ganz bewußt modernisirt, während Polen in einer Art Dornröschen-Schlaf zu träumen scheint. Jenseits solcher Träume, ist Polen militärisch weder fähig, Lieffland zurück zu erobern, noch das Russische Smolensk ein zunehmen. Augustus 'der Starke' kann demnach gar nicht nackiger dastehen. Um so mehr muß man diese der Realität ausweichenden Polen ins Herz schließen, wenn von besagtem Warschauer Reichstag verlautet:

„Es haben zwar einige gegen das bißher den Protestanten allhier verstattete Religions-Exercitium geredet/ denen aber remonstriret worden/ daß man solches denen anwesenden Evangelischen Gesandten/ vermöge des allgemeinen Völcker-Rechts/ nicht verwehren könte.“ (Ordinari Post-Zeitung, aus Braunschweig, 1701)

Man kann demnach nicht behaupten, Polen vegitire noch im Mittelalter. Daß man sich aber derartig in Randfragen verbeißt, zeugt von einiger Hilflosigkeit. Die Polnischen Magnaten können unmöglich so blind sein, daß sie die Lage nicht erkennen. Es wird sicherlich die innere Uneinigkeit dafür verantwortlich sein, daß die Republik unfähig ist, sich rechtzeitig zu stellen. Auch dem Leser der Ordinari Post-Zeitung entgehen zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht die ständig aufflackernden innerpolnischen Kämpfe. Dem zunehmend auftrumpfenden Rußland wäre dieses geschwächte Land eine allzu leichte Beute. Und auch in Brandenburg-Preussen gibt es zumindest Einzelstimmen, welche gewisse Begehrlichkeiten ahnen lassen:

„Was/ fürs Ander/ Pomerellen anbelangt/ ... darinn Dantzig die Hauptstatt ist/ so haben wir oben vernommen/ daß solches Land/ vor Jahren/ ein guter Theil von Pommern gewesen; jetzt aber ins gemein auch vnder dem Nahmen Preussen begriffen werde.“

Was Martin Zeiler hier bei Merian, im Jahre 1652, schrieb, verfaßte er damals wider besseres Wissen. Dantzig ist eine ganz eigene Handelsmacht, welche sich hinter schier uneinnehmbaren Mauern zu schützen weiß. Mit dem alten Pomerellen hat diese Stadt sehr wenig zu schaffen. Innerhalb der Republik Polen genießt diese Stadt jede Menge Sonderrechte und steht practisch für sich. Pomerellen selbst war und ist weder Preußen, noch Pommern, sondern seit Alters ein souveränes Herzogtum gewesen. Da aber der letzte Herzog dort kinderlos starb, kam dieses Land - völlig zu Recht - an Polen. Zeiler schreibt selbst, daß ...

„... Hertzog Mestowyn/ welcher auf seiner Underthanen Begehren/ diß sein Land/ An. 1290 dem Hertzogen in Polen, Primislao II. vermacht ...“

Martin Zeiler soll am Berlinischen Hofe nicht wenig Einfluß gehabt haben, was den Verdacht auf Brandenburg-Preussische Begehrlichkeiten nährt. Auf jeden Fall wird künftig genau dies, unter Fridrich II., in die Tat umgesetzt werden: Im Zuge der Polnischen Teilung wird die Republik Polen von der Europäischen Landcharte verschwinden. Erst nach dem I. Weltkriege dürfen die Polen dereinst wieder als freies Land existiren, was 1939 leider durch Hitlers Angriff zunichte gemacht werden wird.

Daß diese Nation nach wie vor einen ungebremsten Unabhängigkeits- und Freiheitswillen verspürt, ist bewundernswert. Der Umstand, daß Deutsche diesem Freiheitswillen über Jahrhunderte im Wege standen, ist traurig. Inhomogen und uneinig ist das heilige Römisch-Teutsche Reich ja eigentlich auch gewesen. In diesem Puncto sind die Teutschen immer wieder haarscharf davon gekommen. † In der größten Bedrängnis, als 1683 die Türcken vor Wien standen, waren ausgerechnet der Polnische König Sobieski und seine Tpuppen maßgeblich an der Rettung des Reiches der Teutschen beteiligt. Der günstige Leser mag daraus seine eigenen Schlüsse ziehen. Die Autorin kommt indeß nicht umhin, in diesem Puncto Scham zu empfinden. Seien wir künftig gute Nachbarn und verläßliche Freunde.


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* Friedrich August, Churfürst von Sachsen, hatte sich als Käyserlicher Feldherr im Türkenfeldzuge schlecht bewährt. Da die Wiener Hofkriegs-Cammera jedoch seine Sächsischen Truppen brauchte, hütete man sich, ihn zu vergraulen. So gab es für Wien keine schönere Gelegenheit, den Mann hinweg zu 'loben', als durch die Unterstützung seiner Candidatur für die Polnische Thronfolge. In seinem Lieffland-Feldzug war er dann ab 1700 zunächst recht glücklich und hielt sich erstaunlich lange gegen die Schwedische Übermacht. Seine berühmtesten 'Schlachten' schlug er jedoch auf den Feldern der Maitressen. Doch hatte er gleichwohl als Kriegsherr ein gutes Herz: Nachdem er Anno 1700 monatelang die Belagerung Rigas vorbereitet hatte, wobei er persönlich zugegen war, erweichte ihn das Jammern der Rigaer so sehr, daß er alle Batterien wieder abbauen ließ. Für's Kriegshandwerk war er offenbar zu gut.

** Natürlich verfügen die Polnischne Nationaltruppen gleichwohl über Feuerwaffen. In mitteleuropäischen Armeen werden diese inzwischen jedoch schwerpunctmäßig effectiver genutzt. Gerade die Sächsische Artillerie ist für ihr Schnellfeuer berühmt: Man lädt die Rohre zwar noch von vorn, die Patrone ist dabei jedoch schon in Gebrauch - in der Regel aus Pappe. Die Canoniere stopfen also keinesfalls umbständlich Pulver und Kugel nacheinander. Dank solcher „Geschwind-Schüsse“, läßt sich eine hohe Feuerkraft erreichen.

*** Diese optimirten Bewegungsabläufe garantiren, daß sie von allen in der Tat zugleich ausgeführt werden. 'Entpfropft' wird die Patrone dabei mit dem Mund. Ziel des Schliffes ist, diesen Ablauf so schnell wie möglich hin zukriegen. Besonders wirkungsvoll ist hierbei das Feuer „Glied vor Glied“ (Glied für Glied): Während die vorderen Reihen kniend neue Papierpatronen nachstopfen, feuert die hintere darüber hinweg. Bei derartig maschinisirter Feuerkraft sind Blankwaffen nur noch Beiwerk. All dies ist den Polen 1706 schmerzlich bewußt geworden: Entscheidend ist maschinelle Perfection und weniger die Kampfkraft des Einzelnen.

Im gegenwärtig währenden Jahre 1709 (nach dem Calender der Academia Teutonica daselbst) sieht es so aus, daß zwei Teutsche Churfürsten, nämlich Churcölln und Churbäyern, die Französischen Truppen gegen ihren Käyser unterstützen - und dies nicht zum ersten Male. Der Spanische Erbfolgekrieg wütet nun ja schon im neunten Jahre. Währte hingegen der Friede, so wäre das heilige Römisch-Teutsche Reich noch weit uneiniger: Einige unsrer betont Französisch gesinnten Reichsfürsten hatten sich lediglich in der Not für das Reich und gegen Frankreich entschieden. Künftig möchte es Brandenburg-Preußen sein, welches das Römisch-Teutsche Reich empfindlich contercariren und schwächen wird ...


Am Teutſchen Weſen niemahl muſt die Welt geneſen.