Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 14.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Reenacter oder wat?

„Excuse me, are you a reenacter?“... Solchermaßen befragt, blicken wir fragend zurück. Unser Frager wird vermutlich Engländer sein und es steht zu hoffen, daß man sich ein wenig mit Latein oder Frantzösisch behelfen könne:

„Ah Monsieur, vous êtes Angleterre ...“

Unser Gegenüber blickt fragend zurück. Versuchen wir's in der Tat mit Latein:

„Linguamne latinam potes?“

Auf der anderen Seite Schulterzucken ... letzter Versuch unserer Seits:

„Sprechen Ewer hochedel Persohn in etwaß Teütsch?“

Antwort - Kopfschütteln - rien ne vas plus. Da kann man nichts machen. Die wenigsten Menschen der galanten Generation sprechen in Teutschland Englisch. Ergo können sie sich auch nicht „Reenacter“ nennen. Außerdem ist die „galante Generation“ ja heute. Wie kann man da rückwärts denken? Im 21. Jahrhundert sagen sie auch immer, man solle bewußt im Hier und Jetzt leben. Bitteschön, wir hatten uns in die galante Zeit begeben wollen. Jetzt sind wir da und leben es consequent. Am besten man wohnt innerhalb des 18. Jahrhunderts in derselben Gegend wie im 21ten, sodaß man die ganze Localgeschichte präsent hat. Hier zählt eben Teütsch, Latein, Frantzösisch - eher als Englisch sogar noch Altgriechisch.

Zoilus Ψ wäre nicht Zoilus, würde er nicht wieder herum unken: Was das denn überhaupt solle; wir bedienten uns schließlich auch des Internets und sollten dann doch so consequent sein, einen Bogen um Computer zu machen. Also gut, erklären wir's ihm: Der Computer ist für Freunde der galanten Zeit sinnvoll, weil er Contact zu ähnlich Interessirten ermöglicht. „E-Mails“, oder „Homepages“, welche alte Originalschriften, oder Citate in Originalsprache transportiren, sind ein Segen - ein Riesenpotential, welches uns der galanten Welt näher bringt. Die Schublade „Reenactment“ eröffnet uns hingegen vorwiegend den Contact zu rollenspielbegeisterten Verkleidungsfreaks.* Diese Leute haben ein Recht auf ihren 'Spaßfactor' - so wie wir die Freude an der Sache auskosten dürfen. Das sind aber zwei grundverschiedene Philosophien, die es zu trennen gilt. Und noch etwas: Es gibt jede Menge Leute, die meinen, sich ihre Realitäten selbst basteln zu können. Zwischen Facten aus Originalquellen einerseits und Fantasy-Creationen andererseits, liegen aber Welten. Nicht wenige vermischen Geschichte einfach mit Fantasy-Elementen und können das gar nicht mehr auseinander halten. Einige Reenacter leben geistig in so einer Fantasy-World. Die deckt sich aber keineswegs mit der authentischen galanten Welt. Freilich gibt es unter „Reenactern“ vereinzelte Kenner, die gleichwohl Originalquellen consultiren. Mit denen tauscht man sich natürlich gern aus.

Das andere, was Zoilus vorschlägt, nämlich consequentes Abwenden vom Lebensstil des 21. Jahrhunderts, wäre in der Tat ein interessantes Experiment. Es ist aber nicht durchführbar, jedenfalls nicht auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland. Eine consequent gelebte Welt von 1709 würde das Grundgesetz außer Kraft setzten, was weder statthaft, noch vernünftig wäre. Das Grundgesetz verwirklicht eine Vielzahl von Forderungen der galanten Philosophie ('Frühaufklärung'). Der Computer wiederum ist ein sinnvolles Hilfsmittel, das sehr viel Creativität (auch im galanten Styl!) eröffnet. Sich all dem zu verschließen, widerspräche den galanten Tugenden der Aufgeschlossenheit und Modernität.

Der Umstand, daß Computersprache heute englisch ist, resultirt nicht unmaßgeblich aus der antimodernen Politik des Nationalsozialismus: In der Weimarer Republik war Deutschland computertechnischer Vorreiter. Danach wurden die besten Köpfe ins Ausland getrieben und in der Folge übernahmen die USA dieses Erbe. Deshalb lautet die Computersprache heute so:

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Gewiß können wir aus der „eMail“ die „Netzpost“ machen, aus dem „Internet“ das „Weltnetz“. Die Programmirsprache können wir aber nicht verteutschen, weil unsere „Made-in-China“- Laptops das niemals capiren würden. Auch deutschsprachige Computerinhalte hängen letztlich an Englischen Programmbefehlen. Dieser Aspect ist durchaus wichtig, denn es gibt unter den Freunden der Teutschen Correspondentz Leute, die jeden Anglicismus wie einen Belzebub austreiben wollen. Auf den teutschsprachigen Seiten von galantenwelt.de geht es darum in keinster Weise! Wenn hier etwa von „Welte=Netz“ geredet wird, dreht es sich um sprachliche Atmosphäre.** Das Lateinwörterbuch eröffnet uns überdies den schönen, geradezu gesanglichen Ausdruck „Machina computatrix“ für die Rechenmaschine. Diese hübschen Umschreibungen büßen aber ihre Entspanntheit, sobald sie zur zwanghaft verkrampften Flucht aus verhaßten Anglicismen mißbraucht werden.

Während die englische Computersprache sinnvoll und unverzichtbar ist, kann man auf den Anglicismus „Reenactment“ ohne Not verzichten. Er bedient eine für uns völlig unbrauchbare Schublade, in der ein chaotisches Durcheinander von teils Authentischem und Klitterhaftem herrscht. Außderdem ist rollenspielmäßiges „acting“ hier gar nicht angesagt: Letzte Woche bastelten wir uns eine Elle und radelten schließlich eine Vierthelmeile ab; in der Woche davor corrigirten wir u.a. Prinz Eugens orthographische Irrungen. Was das Thema Menuet ect. angeht, steht die Autorin voll hinter der Tanzauffassung der alten Tanzmeister *** und hat diese genauestens studirt. Das ist keine Rollenspielerei, sondern blutiger Ernst. Selbst wenn man all dies einmal im galanten Kleyde oder Justaucorps vorführt: Um verkleidetes Schauspielern **** geht es beileibe nicht. Man bleibt einfach diejenige Person, die man immer war und begibt sich so in die Cultur des 18. Jahrhunderts, um dort etwas zu erfahren, zu lernen.

Wir insceniren galante Cultur nicht. Vordergründiges, Äußerlichkeiten sind zweitrangig. Ob am Computer, oder mit Vogelfeder und Tinte: Es geht in erster Linie um galante Inhalte.

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Nachträgliche Anmerkung von 1719: Hier noch ein galanter Inhalt. Oben heißt es feierlich "im galanten Kleyde oder Justeaucorps..." Ich habe meinen Justeaucorps umgewidmet und trage denselben nun mit langem Rock. Damen trugen ganz gern auch mal Justeaucorps und meiner paßt da perfekt. Also alle mal herschauen:

http://Mademoiselle-sans-visage.html

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* Viele Reenacter interessiren sich für mehrere Zeitalter und besitzen nicht selten Costüme verschiedenster Art. Oft ist das Verkleiden hierbei die Hauptsache.

** Diese Atmosphäre geht der vorliegenden Gazette leider ab, weil viele Freunde der Galanterie nicht fließend Teutsch lesen. Wo sich die Autorin eh verbiegen muß, respect. ihrer originalsprachlichen Form entsagen, sollen auch sachgerechte Anglicismen der Computersprache zu ihrem Recht kommen. Dieses Recht haben sie im 21. Jahrhundert absolut! So, wie seinerzeit Latein und Französisch. In diesem Punct sind Anglicismushasser einfach ungerecht.

*** Es geht um die Tanzkunst des frühen 18. Jahrhunderts an sich. Man ergreift dabei lediglich eine traditionelle Berufsrolle: Tantzmeister, galanter Vortänzer, oder etwa angehender Tantzmeister. Dies stellt aber keinerlei Rollenspiel dar. Es geschieht nämlich nicht identitätsflüchtender Weise, sondern wirkt im Gegenteil identitätsstiftend. Wie jede sinnstiftende Berufsidentität, ergänzt und stärkt diese Rolle die vorhandene, natürliche Identität. Tatsächlich sollte möglichst jeder ernsthaft 'Zeitreisende' ein historisches Berufsbild wählen, das ihn persönlich fascinirt.

**** Bei derartigen Auftritten stellt das Tragen galanter Kleidung genauso wenig eine Costümirung dar, wie bei traditioneller Zimmermannskleidung. Im 18. Jahrhundert ist „Tantzmeister“ ja ein Brotberuf, wenn auch nicht zünftisch organisirt. Berufung kann dies im 21. Jahrhundert nach wie vor sein. Auch abgesehen vom Tanzen, geht es um Repräsentation galanter Zeitcultur, in entsprechender Tracht. Im Gegensatz zum Trachtenvereinswesen ist der Character freilich nicht 'volkstümlich', sondern bildungsbürgerlich.

Ψ Zoilus war ein Griechischer Rhetoriker, aus dem antiken Macedonien, welcher - „Homers Geißel“ genannt - durch seine Tadelwut sprichwörtlich wurde.


Am Teutſchen Weſen niemahl muſt die Welt geneſen.