Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 2.


6. Juny, Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Zur Ehrenrettung der galanten Peruque

In einem Hörfunk-Interview redete ein gewisser Autor erschütternde Dinge über die Peruquen-Mode der Zeit Ludwigs XIV. - ebenso wie über den König selbst. Zu Fragen wäre allderdings, ob man wirklich fest davon ausgehen sollte, daß der Sonnenkönig alleiniger Urheber dieser Mode gewesen sei. Er mag sicherlich der entscheidende Katalysator dieses Modehypes gewesen sein, doch kommen modische Anstöße meist aus Paris. Fest steht, daß dieser König von lauter schöpferischen Genies umgeben ist, die ihn an Geistesgröße allemal überragen. Diese schöpferischen Leute sind zu allermeist Bürgerliche – wie im Übrigen auch die Mode des Menuet-Tanzens aus der bürgerlichen Welt aufgegriffen wurde. Solche Leute haben den Sonnenkönig und seine Glanzwelt recht eigentlich geprägt. Der König selbst ist - ganz allgemein - ein ziemlich beeinflußbarer Mensch.

In besagtem Interview wurde die Peruque Ludwigs als „Behausung“ geschildert, mit welcher sich der Träger dieses Accessoires schütze - „Riesendinger“, die zudem „nach oben“ gingen (was der gewisse Autor tatsächlich als „Vaginal-Popo“ zu characterisiren wagt). Dabei wird von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen: 'Die galante Peruque' existirt um 1700 gar nicht, sondern eine Vielzahl unterschiedlichster Formen und nicht alle haben Alongen!

„... u. ob die Paruque auf die Spanische, Frantzösische oder Engelische Manier, mit einer hohen oder niedrigen Fronte, mit Alongen oder ohne dieselbigen, kurtz oder lang geknüpffet, ect. seyn soll, weil alles gangbar und Mode ist.“ (Gottfried Taubert: „Rechtschaffener Tantz=Meister“, 1717, p. 401)

„... und bey denen Peruquen giebt es so viele Variationes, daß die Erzehlung derselben einen zimlichen Catalogum ausmachte ... was aber einer für Peruquen tragen soll, kan ich niemanden fürschreiben, er wähle nur eine solche Art, die mit seiner Kleidung accordiret, und die nicht aussiehet, als ob sie von Flachs, oder von Sauer-Kraut verfertiget.“ (Louis Bonin: „Die neueste Art zur Galanten & Theatralischen Tantz=Kunst“, 1712, p. 111)

Was Ludwigs „Staatsperücke“ angeht, gibt es ein Gemälde, wo er mit Schwert und traditionell-spanischen Pluderhosen posirt, worauf sich seine Peruque in der Tat eigentümlich empor türmt. Es gibt dagegen aber jede Menge Kupferstiche, wo seine Peruque einen ganz gewöhnlich flachen Mittelscheitel aufweist. Diese männliche Peruquen-Mode besteht in nichts anderem, als einer toupirten Langhaarfrisur, wie man sie heute etwa von Rockstars kennt. Junge Männer können oftmals mit einer solch beeindruckend schönen Mähne brilliren. Mit zunehmendem Alter dünnt das männliche Sexualhormon Testosteron diese Pracht leider Gottes aus. Gesunde Frauenzimmer haben Perücken vor ihrer Postmenopause kaum nötig, weil ihr Östrogen Kopfhaarwurzeln fördert. Da die Generation um 1700 auf Exterieur (das äußerliche Erscheinen) großen Wert legt, helfen die Herren mittels Peruque nach. Diese galante Peruque soll aber keinesfalls unnatürlich wirken – etwa gleich „Flachs, oder von Sauer-Kraut verfertiget“, wie Bonin oben so schön anschaulich betont. Wer es sich in der galanten Welt leisten kann, kauft eine Echthaarperücke von Menschenhaar, die allemal natürlich wirkt. Diejenigen, die um 1700 mit eigentümlichen „Behausungen“ herum laufen, sind schlicht arme Schlucker. Gleiches gilt für jene Freaks, die sich um Anno 2000 auf historisirten Bällen und Reenactments sehen lassen: Hier dominirt das leidige Klischée und kaum jene Natürlichkeit, welche von einer galanten Persohn um 1700 genauso erwartet wird, wie ansprechendes Exterieur.

Wenn sich, bei besonderen Anläßen um 1700, Alonge-Peruquen türmen, so correspondirt dies recht gut mit der hohen Fontagne-Frisur der Damen. Das Aufwärtsstrebende ist in der Tat ein Wesensmerkmal der Cultur dieser Zeit. Wer Menuet tanzen kann, weiß, daß man sich dabei auf Schlag-eins (wo ein Walzertänzer bekanntlich auf den Hacken niedersinkt) empor recken soll. - Das alles ist schlicht Zeitausdruck der galanten Generation. - Grundfalsch ist auch die Behauptung im beschriebenen Interview, der Begriff „Allongenperücke“ sei erst im 19. Jahrhundert aufgekommen:

„Und guckt darneben aus der abscheulich grossen Alongen-Peruque, nichts anders, als ein Frosch aus dem Heu=Schober, oder eine Nacht=Eule aus der Scheune, hervor.“ (Gottfried Taubert: „Rechtschaffener Tantz=Meister“, 1717, p. 392)

Wer es mit der Peruque unnatürlich übertreibt, wird um 1700 eben getadelt! - Daß man in diesem Sinne auch Wortungetüme mittels Bindestrich vermeidet, ist übrigens auch so ein angenehmer Zug der galanten Zeit. Dies ändert aber nichts an der widerlegenden Beweiskraft dieses Taubert-Citates.

Nein, die Peruquen-Mode der Zeit Ludwigs XIV. besteht in einer schönen, männlich-natürlichen Jugendmäne. Die soll auf keinen Fall etwas Weibliches an sich haben – wirkt sie im Gegenteil doch eher männlich verwegen. Falsch ist übrigens auch die verbreitete Verquickung bzw. Verwechselung mit den Puderfrisuren der weitaus späteren Mozartzeit. Die Peruque um 1700 ist in der Regel naturhaarfarben – meist braun oder blond. Wir bewegen uns in der Zeit bis allerhöchstens maximal um 1730, die ein völlig anderes Gepräge hat als Mozartzöpfe und Puderlöckchen ab ca 1750.

Die Herren um 1700 sehen den Stones da doch weit ähnlicher.



Die galante Welt in den Worten der galanten Generation.