Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 11.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Wider das 'b'-Wort!

Das galante Damenvolk schmückt sich besonders gern mit Perlen. Halsketten sind zwar weitgehend aus der Mode gekommend, doch dafür windet man gern Perlenschnüre in die Coiffure mit ein, oder bestickt Kleidung und Accessoires mit dem kostbaren Muschelproduct. Natürlich möchte man die Perlen schön gleichmäßig und rund haben, was die Muscheln nicht immer beherzigen. Gerade in der galanten Welt ist dies ein Makel, weil man dort sehr viel auf Symetrie hält. Deshalb ist es unbegreiflich, weshalb die Nachwelt unsere Decaden mit schiefen, unförmigen Perlen associirt.

„Baroque, adj. c wird von Perlen gesagt, wenn sie nicht recht rund sind.“ (Johann Leonhard Frisch, „Frantzösisch-Teutsches Wörterbuch, 1719)

Unsere galante Generation möchte diese Dinger nicht haben, weil sie schrecklich asymetrisch sind! Warum dreht man sie uns dann wieder an? Das grenzt doch geradezu an Falschmünzerei!! - In der galanten Welt wird so gut wie alles symetrisch entworfen und ausgeführt. Wenn in einer Chrorégraphie der Herr mit dem linken Fuß über rechts geht, setzt die Dame ihren rechten garantiert über links. Oder schaue man sich die Gebäude und Ziergärten an: Alles ist streng symetrisch! - Nichts ist schief.

In den Nachschlagewerken des 21. Jahrhunderts wird uns jedoch nicht allein dieses 'b'-Wort untergemogelt, um es mit „unregelmäßig, schiefrund“ zu übersetzten. Das Ärgste sind die üblen Beschimpfungen, welche regelmäßig hinten drein gesetzt werden, deren hier etliche zusammen getragen sind:

„Absonderlich*, befremdend, befremdlich, bizarr, eigenartig, exravagant, exzentrisch, barocke Figur**, grotesk, kraus, kauzig, merkwürdig*, nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, opulent, schrullig, skurril, sonderbar*, schief, seltsam, unregelmäßig***, überladen, überspannt, üppig**, übermäßig, verrückt, verschroben, verkünstelt, wunderlich, wuchernd, bombastisch****...“

Das alles verbindet das 21. Jahrhundert mit dem 'b'-Wort. Und wir lassen uns das gefallen: Beleidigung, öffentliche Verhöhnung; Entehrung, in Tateinheit mit Verleumdung und übler Nachrede. Wäre die galante Generation in der Nachwelt rechtsfähig, hätte sie allen Grund zu processiren ... - Freilich sind die genannten Verunglimpfungen nicht der Hauptgrund für unsere Ablehnung des 'b'-Wortes. Offen gestanden ist die Empörung darüber ein wenig aufgesetzt und nicht ganz frei von Ironie. Die allergrößte Schande des 'b'-Wortes liegt in der genzenlosen Einfalt. Dieser Begriff transportirt haufenweise dumme Klischees und schiefe Geschichtsbilder, bis hin zu bösartigen Geschichtsfälschungen. Das 'b'-Wort ist Geschichtsklitterei in Reinform. Dem Lieberhaber der galanten Welt verbaut es daher den Weg in die reale Lebenswirklichkeit dieser Zeit. Secundärliteratur sollte er deshalb mit äußerst spitzen Fingern anfassen. Auch Geschichtsprofessoren recherchiren nicht nur in Originalquellen, sondern bedienen sich vielfach aus anderen Secundärquellen und so potenciren sich die Kloppse seit knapp 2 Jahrhunderten. Was sich lange genug eingebürgert hat, wird als allgemein gültig angesehen; dagegen an zukommen ist schier unmöglich. Dies will die vorliegende Gazette auch gar nicht versuchen. Deshalb ist sie innerhalb der Domain galantewelt.de nicht verlinkt und wendet sich nur an einen eng begrenzten Kreis.

Der Therapievorschlag lautet: Das 'b'-Wort fortan meiden und ganz neu zu denken anfangen ... - Man nehme sich Originalbücher bzw. Reprints und lese innerhalb von Secundärwerken vor allem in den Abbildungen alter Originalseiten. Vergrößert man letztere sauber im Copyshop, erhält man oftmals lesbare Reprints, welche mit der Zeit ein unschätzbares Archiv ergeben. In großen Bibliotheken findet man schwelgerische Großbände, welche danach durch zublättern die reinste Freude ist. Den Haupttext darin muß man nicht meiden wie der Teufel das Weihwasser, aber man sollte stets mißtrauisch sein: Wer Originalliteratur in Hülle und Fülle genossen hat, ahnt Unstimmigkeiten schnell und glaubt nur das Wenigste. Andererseits wird natürlich das eine oder andere citirt, was wiederum Originalton der galanten Welt darstellt. Wer dermaßen in dem Wesen der galanten Generation aufgegangen ist, ärgert sich maßlos über die modernen Vor- und Nachworte gängiger Reprints. Die Interpretationsversuche darin empfindet man leicht als dreiste Unterstellungen: „Was redet die Nachwelt da über uns? Die haben doch keine Ahnung!“ Manche Anmerkungen sind durchaus klug und treffen vielleicht sogar zu, ärgern einen aber trotzdem. Wer so anfängt zu fühlen und zu denken, ist practisch selbst Teil der galanten Welt geworden ... und Lichtjahre vom 'b'-Wort entfernt. Da wir letzteres hier aber ausmisten müssen, ist es heute das Thema. Deshalb blicken wir nunmehr in die Geschichte des 'b'-Wortes, wo es uns in leicht ungewohntem Gewande erscheint:

„BAROCKISCH soll das franz. baroque, bizarre unserer sprache bequemen (wie antikisch sp.500, idealisch, theatralisch): Der barockische schmuck vielfarbger muscheln. ZACHARIÄ 1,103. Barockischer konnte man nichts als Blaffardinen sehn, vom kopf zum gürtel so scheuszlich als bis zum knöchel schön. WIELAND 4,141.“ (Lexicon der Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm, 1854)

Wir, die galante Generation, sind hier gar nicht gemeint! Das Wort „barockisch“ bedeutet in etwa so viel wie 'schräg' (wie die schiefe Perle) und ist auf keinerlei Zeitalter gemünzt. Damit wäre die Welt eigentlich in Ordnung ... - Doch holen wir einmal den alten Brockhaus hervor:

„Barock, nach dem franz. baroque gebildet, heißt im Leben und vorzüglich in der Kunst das willkürlich Seltsame, welches, aus launenhaften Einfällen eines einzelnen hervorgehend, gegen die allgemeine und natürliche Ansicht verstößt und ins Ungereimte und Närrische übergeht. Man braucht den Ausdruck in gleicher Weise von den Zuständen und Charakteren des gewöhnlichen Lebens, wie von den Stoffen und Darstellungsformen aller Kunstarten. In diesem Sinne fällt das Barocke mit dem Bizarren (s.d.) zusammen. Der Sprachgebrauch bedient sich beider Ausdrücke durchweg als Synonym.“ (Brockhaus von 1864)

Wieder sind wir überhaupt nicht angesprochen! Doch der abwertende Character zeigt sich hier besonders deutlich: Närrisch heißt soviel wie verrückt, das Narrenhaus ist ein Irrenhaus. Nein, die galante Welt ist kein Narrenhaus! Wir repräsentiren die galante und raisonable Zeit, bei uns ist „Vernunft“ ein bedeutendes Thema. Außerdem sind wir keineswegs 'schief' sondern achten darauf, daß alles immer hübsch gerade und symetrisch ist. Man kann uns in der Tat vorwerfen, wir seien pedantisch übergenau und neigten dazu, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Auch neigen wir ziemlich zum Pathetischen. Aber „barockisch“ sind wir niemals!

Das 'b'-Wort paßt in keinster Weise zum Wesen der galanten Generation – es widerspricht der galanten Welt fundamental.


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* Das sind alles Worte, die in der galanten Welt noch gar keine Negativbedeutung haben! „Absonderlich“ heißt hier besonders, im Sinne von extra herausgehoben, extraordinair; oder es bedeutet einfach separirt (zwey absonderliche Cammern, also für jeden Gast eine). „Merkwürdig“ findet man noch bei Goethe correct. Während seiner italienischen Reise besichtigt er Merkwürdigkeiten, also Sehenswürdigkeiten – des Merckens würdig umschreibt die Urbedeutung treffend. „Sonderbar“ ist in der galanten Welt ein Synonym für besonders (er hat eine sonderbare Art, stellt also etwas Besonderes dar, das bewunderungswürdig ist). Bleibt anzumerken, wie die Nachwelt doch negativ und äußerst mißgünstig denke ...

** Obelix würde jetzt wahrscheinlich sagen: „Ich bin nicht dick!“ Die Vorstellung, die Leute um 1700 wären alle besonders pummelig, hat in der Tat was Groteskes. Solche Vorstellungen werden von einer Generation geprägt, die sich fortwährend mit Fastfood mästet ... Was da ein Massenphänomen ist, während man bei uns das Prassen der oberen Zehntausend meint (von denen einige sogar fromm und asketisch leben!).

*** Zum letzten Mal: Die galante Generation ist versessen auf::S y m e t r i e !!

**** "Bombastisch" wurde bei der Überarbeitung 2015 hinzugefügt, nachdem ich es schon im September 2009 entdeckt hatte. In einer Sonderausgabe, zum künftigen Erscheinungsrhythmus, merkte ich dazu an: "Seit geraumer Zeit hatte die Autorin sich angewöhnt, Synonymwörterbücher durch zuforsten, wo immer welche auftauchen. So begab es sich, daß sie eine ihr noch unbekannte Bibliothek aufsuchte, wo in der Tat ein noch undurchforstetes Synonymwörterbuch befindlich. Das neue b-Wort-Synonym heißt »bombastisch«, was endlich mal ein richtig nettes Compliment ist: Ich wußte immer, daß wir und die ganze Galanterie einfach nur »bombastisch« sein können! Mit »bombastischen« Grüßen, bis zum 1. Octobrio!". (Mit dem 1. Octorio wurde es allerdings nichts mehr, denn nach diesem Articel war Schluß. Im September wandte ich mich der Englischen Sprache zu, beschäftigte mich zunächst mit 30er Jahre Hollywoodfilmen und bekämpfte ab 2011 im Internet Republicans, um Präsident Obama mit zur Wiederwahl zu verhelfen. Die Fascination mit Hollywood in Originalsprache, sowie der Americanische Wahlkampf, führten dazu, daß Galantewelt.de über Jahre brach lag. Hinzu kam, daß mir das Bloggen auf Blogspot damals mehr Möglichkeiten bot .... bis ich 2015 plötzliche HTML-Geistesblitze hatte und Galantewelt.de wieder das Mekka wurde.)


Zur Ehrenrettung der galanten Generation.