Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 6.


4. July, Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Mit Schrot und Korn wider die Galanterie

Der Ausspruch vom „rechten alten Teutschen Schrot und Korn“ wurde immer wieder gern gebraucht, um sich von fremdländischen Sitten ab zusetzen. Es ist allerdings zu fragen, in wie weit eine solcherart ureigene, reine und ursprüngliche Teutsche Cultur respect. Identität, überhaupt jemals existirt hätte. Nicht einmal die Namensherkunft unsrer Nation ist unstrittig: „Teutonicus“ kennen wir ursprünglich von Tacitus; als Nationalitätsbezeichnung wurde uns diese Benamung ausgerechnet vom Vatican* übergeholfen, was bereits um das Jahr 1000 geschah. Etymologen bestreiten dies gern. Es gibt jedoch keinerlei Quellen, außer jenen, die Teutsch mit teutonicus übersetzen und umgekehrt.**

Als die Galanterie aus Frankreich ins Römisch=Teutsche Reich hinüber schwappte, vernahm man wiederum jene mahnenden Stimmen, welche gern fremdländische Sitten geißeln, um Teutsches Schrot und Korn zu beschwören:

„Worzu sollen doch die närrischen Geberden bey der Frantzösischen Reverence? Worzu sollen doch die wunderlichen Grammanntzen/ die du bey deinem Reverentz denen Frantzosen so närrisch nachaffest? Was soll doch das Fingerlecken? das Hand= und Arm=drehen? das von und zu dir Zucken und Drucken? das Ritzschen und Klitzschen mit den Füssen/ und das tieffe Bücken mit dem Leibe/ dabey du mit dem Kopff zu den Füssen schnappst wie ein Taschen=Messer/ das man auf= und zuthut? Meynestu daß solches einen Teutschen Mann ziere? Oder meynest du/ daß/ wenn solches unsere Vorfahren die redlichen Helden sehen solten/ sie dich für einen Teutschen ansehen würden? O nein! sie würden vielmehr glauben/ daß du itzt allererst von Babylon kommen/ und noch eine Zerrittung mit den Geberden in der Welt anfangen woltest. Wer sich also zimperlich anstellet/ der fürchtet sich entweder/ oder er will etwas betteln/ oder hat sonst was Böses im Sinn.“ - Philanter von Sittenwald, 1717 citirt von Gottfried Taubert

Philanter wird etlichen von uns auch im 21. Jahrhundert schon einmal begegnet sein, denn er wütet dort nach wie vor ....*** - Maßvolles Critisiren importirter Moden ist freilich berechtigt, ja notwendig. Ein Großteil derer, die im Römisch=Teutschen Reich um 1700 galante Moden aufgreifen, sind nicht intelligenter als Philanter und tun dies völlig unreflectirt. Wie ja eigentlich keine Generation der Geschichte von dümmlichen Modeticks verschont bleibt. In den Gassen der galanten Welt beispielsweise ...

„... wenn mancher unter dem Gehen die Füsse beschauet/ als wie die Pfauen/ und selbst eine Lust daran/ so er seine imagninirte Tanz=Meisters Beine sehen kan. - ... mit den Schuhen/ die Steine immer hinein stossen/ und die gravitätischen Schritte zehlen...“ - Louis Bonin, Tanzmeister zu Jena, 1712

Nicht wenige vergehen sich an der Complimentir=Kunst, indem sie zu meinen scheinen, je dicker aufgetragen sei desto galanter. Im Internet beobachtet man dies noch heute: Wer in einem Forum den genereusen Galan alter Schule vorstellen will, trägt gern dick die frankophilen Liebkosungen auf, davon ein Frauenzimmer im Anno 1700 schamrot würde. Dieser 'Galantismus' ist nicht neu – seine fatale Ungeschicktheit besteht schlicht in dem Unvermögen, der jeweiligen Situation gerecht zu werden und das rechte Maß zu halten. Tanzmeister Louis Bonin rät 1712 dringend davon ab:

„Mit überflüssigen Complimenten/ und die zur unrechten Zeit fürgebracht werden/ erscheine man ja nicht bei Hofe/ so gewöhne man sich auch keine garstige Manieren an/ sonsten wird man von den Küchen=Jungen und Laqueyen/ von höhern Personen will ich nicht sagen/ erschrecklich ausgelachet.“

Nun, die höheren Personen schütteln still den Kopf, was auch keine Ehre verheißt. Die bittere Wahrheit besteht also darin, daß der maßlos Blumen verstreuende möchte-gern-Galan in der galanten Welt schlicht ein Trottel ist – ein bedauernswerter Narr und Idiot****. Galanterie-Feinden, wie Herrn von Sittenwald, dient er bevorzugt als Carricatur, womit sich die verhaßten fremden Moden trefflich ad absurdum führen lassen. Es bleibt aber die Frage, weshalb den Teutschen ihr „altes Schrot und Korn“ offensichtlich nicht genug war. Krankte das Reich etwa, im Vergleich zu Frankreich, an culturellen und civilisatorischen Deficiten? Davon muß man wohl ausgehen, wenn man bedenkt, daß der Philosoph Leibnitz nichts sehnlicher wünschte, als seinen Wohn- und Wirkungsort nach Paris zu verlagern.***** Bezeichnend ist auch, was der Fechtmeister Joachim Meyer bereits 1570 schrieb: Daß nämlich die „heldenmessigen ritterlichen Teutschen“ lieber mittels Schwert hauten als zu stechen ...

„... derhalben were das Fechten im Rappier ein vberfluß/ wo nicht durch beywonunge frembder Völcker/ das stechen wie auch vil andere sitten so den alten Teutschen vnbekant/ bey vns eingewurtzelt weren...“

... oder genauer augedrückt: Weil die rohe Kraftmeierei der Bewohner Germanias nicht gegen romanische Fechtkunst ankam, mußten sie wohl oder übel fremde Culturtechniken übernehmen. Meyer war hierin ein Meister des Rapiers, doch mußte er sich vor seinen Landsleuten darob rechtfertigen. Mancher „ritterliche Held“ ließ sich wohl eher niedermetzeln, als dazu zulernen. Letztlich argumentirt Meyer mit der äußeren Sicherheit des Reiches, wodurch er sich mit Erfolg Gehör verschaffte. Wenige Jahrzehnte später wurde diese Culturtechnik im 30jährigen Kriege erfolgreich zur Selbstzerfleischung practicirt. Danach erkannten die Teutschen, daß eine andere Culturtechnik - die galanter Höflichkeit - eben Frieden schafft und legten ihre rohen Sitten ab. Allein Philanter und seine Geistesverwandten wenden dagegen ein ...

„... die alten und ihre Vorfahren wären auch keine Narren gewesen/ und hätten Brod zu essen gehabt/ wer mit ihnen nicht umgehen wollte/ der könnte es bleiben lassen ... das Brodt schmecke ihnen dennoch ob sie es gleich mit höflichen/ oder groben Worten forderten...“ - Meletaon, umschreibend 1713

Noch heute bezeichnet die Geschichtsschreibung das alte Teutsche Gehabe als „Grobianismus“. Die Abbildungen in Meyers Fechtbuch von 1570 sprechen Bände: Die ingrimmig finster blickenden, bärtigen Gesichter unterscheiden sich Lichtjahre von dem Bildnis eines fechtenden Galans um 1700. Hier ist ein Bruch und es tut sich eine neue Welt auf – eben die neue galante Welt.

„Unsere Zeiten/ darff man auf gewisse Art noch wohl die neue Welt nennen/ denn es haben sich die Menschen dergestalt verändert/ daß wohl bald alle Kundschafften/ von denen ehemaligen Gewonheiten dürfften verloren gehen...“ - Meletaon, 1713

Das ist ja Philanters Problem: Sittenwald ist ein altmodischer Mensch, unter dessen Identität der Boden, samt „altem Schrot und Korn“ wegsackt. Vielleicht hat er sonst keine eigene Identität entwickelt? Und so wehrt er sich verzweifelt gegen die neue galante Welt.

„O ihr Teutschlinge/ alte Hertzen her! Alte Geberden her! Alt Geld her!“ - Philanter von Sittenwald, 1717 citirt von Gottfried Taubert

Deutsche Reenacter, oder Freunde historischer Tanzpraxis, haben es heute nicht leicht, sobald sie nach einer specifisch deutschen Galanterie suchen. Nach den Weltkriegen hat die deutsche Identiät ihren Rest bekommen. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn viele deutsche Geschichtsfreunde sich in Französische und Englische Geschichte hinein flüchten, um sich mit Vorliebe damit zu identificiren. Mancher kann sogar hervorragend Französisch und reist regelmäßig nach Frankreich. Ihm steht selbstredend die gesamte Französische Literatur an Originalquellen offen - was ein schönes, interessantes und erfülltes Leben bedeuten kann. Warum sollte ein moderner Europäer, als geborener Teutscher, nicht mit einem Herzen in Frankreich sein? Gottlob herrscht inzwischen Freundschaft in Europa, sodaß sich kein galantes Herz mehr zerrissen fühlen muß! Andererseits gibt es viele Geschichtsfreunde, die kaum Französisch können, mit dem Herzen aber nicht minder in Frankreichs Geschichte wohnen. Diese Leute leben in der Französischen Historie wie jener Immigrant, dessen Fortkommen an Sprachbarrieren scheitert: Niemals werden sie in die Tiefe gelangen, sondern lediglich an der Oberfläche ein wenig herum plätschern. Im Bereich des historischen Tanzes bedeutet dies, daß man immer von Quellencitaten anderer abhängen wird, ohne selbst nachprüfen zu können******. Letztlich liegen uns die Quellen der teutschsprachigen Tanzmeister doch näher, auch wenn sie nicht aus reinem „Schrot und Korn“ bestehen. Dies ist der Grund, weshalb galantewelt.de den Schwerpunct auf Teutsche Quellen setzt. Der Wert eigener Quellen wird in Deutschland sträflich unterschätzt. Man ist im Umfeld der eigenen Muttersprache in der Regel eben doch competenter und authentischer.


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* Diese Ironie Teutscher Geschichte rührt daher, daß das Anwachsen römischer Kaisermacht, gekrönter Häupter aus Germania, im Vatican als gefährliche Concurenz empfunden wurde. Diese Häupter wollte man gerne auf den Status eines regionalen Königtums zurück schneiden. Da Germania damals ein inhomogenes Chaos war und nationale Einheit dort kaum auszumachen, griff der Vatican auf den Begriff „Teutonicus“ zurück. Landesfürsten Germanias, welche dem Kaiser die Macht ebenfalls neideten, bissen hier gern an und griffen diese alte Tacitusbezeichnung mit auf. Übrigens war Germania damals nicht allein ein „mundartliches“ Chaos (wie so gern beschwichtigt wird): Es war ein Sammelsurium von Sprachen, sodaß überregionale Verständigung nur mittels Griechisch und Latein möglich war. Die Saxen und Vrancken standen sich nicht näher, als heutzutage Deutschland und Dänemark.

** Einst soll ein Etymologe versucht haben, einen gewissen Österreichischen Dialect zu erschließen. Anschließend soll er sein Studirzimmer verlassen haben, um sich in jenes Tal zu begeben, wo dieser Dialect noch gesprochen worden sei. Es heißt, er sei dort leider nicht verstanden worden. - Das Bohrsche Atommodell war ähnlich hochlogisch construirt, wie etymologische Constructe; leider stimmt es mit der Wirklichkeit nicht überein, wie man heute weiß. Verrückt ist jedoch, daß sich mit diesem Modell seinerzeit Berechnungen anstellen ließen, auf deren physicalisch-mathematischer Grundlage technische Neuschöpfungen tatsächlich functionirten. Wer menschlicher Sprache quasi mathematische Gesetzmäßigkeit unterstellt, schaft in ähnlicher Weise allzuleicht Neues. Sprachgeschichte bildet er so aber kaum ab. Am Bedeutungswandel des Begriffes „merkwürdig“ (des Merkens würdig!) läßt sich die Unlogik von Sprachentwicklung verdeutlichen: Ursprünglich bedeutete es das gleiche wie bemerkenswert, entartete aber (aufgrund allgemeiner Ignoranz und Intoleranz gegenüber Neuem, Ungewohntem) zu einem Synonym für wunderlich/lächerlich. Volkssprache beruht vielfach auf Dummheit und es bedurfte Jahrhunderte währende Durchsiebung, um daraus logische Geistessprache zu formen. Auch in der deutschen Sprache fußt diese Logik überwiegend auf griechisch-lateinischen Wurzeln. Was also wären wir ohne romanische Quellen?

*** Heute neigt Philanter dazu, sich fürchterlich über Anglicimen auf zuregen. Einige dieser Eiferer verteutschen die gesamte Computersprache und ärgern sich über jeden, der von ihrem Concept abweicht. Wer Philanters Nerven schonen will, sage nicht etwa „Notebook“, sondern „Klapprechner“. Der gute Herr von Sittenwald ist also keineswegs tot und leidet nach wie vor unter importirten Sitten. Seinen wirklichen Namen scheint er nicht zu verraten, wahrscheinlich ist dieser Name sein Pseudonym.

**** Auf die postgalante Reenacter-Scene nicht unbedingt übertragbar, denn diese Leute sind im 18. Jahrhundert nicht wirklich socialisirt und versündigen sich in der Regel aus Unwissenheit und Vorurteilen heraus. Wer sogenannte 'barock'-Klischees lieber mag, als die Wirklichkeit der galanten Welt um 1700, wird die historische Wahrheit ohnehin nicht wissen wollen.

***** Worum er sich redlich bemühte, doch offenbar hat man Leibnitzens überragendes Genie in Paris und Versailles unterschätzt.

****** Tanzmeister im 21. Jahrhundert reden nicht selten Unsinn, bzw. behaupten irgendwelche Dinge, die ihnen in den Kram passen, historischen Quellen alter Tanzmeister aber diametral widersprechen.


Am Teutſchen Weſen niemahl muſt die Welt geneſen.