Vidi, audi, dixi.

- Spontan erscheinend -

Nr. 18.


26. August, Anno '15.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Reinlichkeit in der galanten Welt

Die landläufige Argumentation lautet in etwa so: Im 18. Jahrhundert wäre Körperhygiene vernachlässigt worden, die Leute hätten pafümirt, anstatt sich zu waschen. Zusätzlich untermauert wird dies durch ein Scheinargument: Man hätte damals kostbare Stoffe getragen, wie etwa Brokat, welcher ja nicht waschbar sei. Es wird also ebenfalls unterstellt, man hätte seine Kleidung nicht (oder zumindest kaum) gewaschen. Generell wird aus all dem geschlossen, die Leute hätten gestunken, ständig bestrebt, dies mittels Parfüm zu überdecken.

Es handelt sich um gängige Vorurteile des 19. Jahrhunderts, welche die alte Welt (das alte Reich, oder Ancien Régime – in Deutschland das heilige Römisch-Teutsche Reich) haßte und bewußt diffamirte. Die völkische Bewegung des 19. Jahrhunderts sah diese alte Welt als 'verwelscht' an, daher rührte ihr Haß. "Du stinkst ja" ist eine verbreitete Haßbotschaft. Originalquellen belegen das Gegenteil.

Am 16. October 1716 schreibt die jungvermählte Dorothea Ziegenbalg aus der Ost-Indischen Colonie an ihre Mutter:

"Die Wäsche wird wöchentlich von dem Wäscher gewaschen, welcher alle Monat 10 gl bekommet, davor können wir uns 3 mahl weiß anziehen und täglich weiß Tischzeug nehmen."

Eine geraume Zeit später schreibt ihr Vater, August Hermann Francke, zurück und critisirt die 'Verschwendung' mit der Tischwäsche – man halte sich zu "zärtlich". Er beanstandet jedoch nicht das drei mal wöchentliche Wechseln des Weißzeugs. Nun ist Weißzeug nicht generell Unterwäsche. Auf der Damenseite ist damit generell der Unterrock gemeint, bei den Herren schlicht das Hemd. Bei der Familie Francke handelt es sich übrigens um wohlhabendes Bürgertum. Sie hat damals ein Waisenheim geführt und ist von daher noch heute ein wenig bekannt.

Auch mancher Städter lebt in ärmlicher Cammer und hatte kaum genug zu essen. Dennoch hing zuweilen ein repräsentativer Justeaucorps (lange Zeit vor dem Frack, übersetzen wir aber dennoch 'Gehrock') im Schrank. Dieser Hinweis stammt von Tanzmeister Gottfried Taubert (1717) und sollte aufzeigen, daß auch kleine Leute sich oft redlich um Galanterie bemühen. Sie wollten in galanten Kreisen nicht als Arme erkannt werden, sondern voll anerkannt sein. Ich gehe fest davon aus, daß auch diese ärmlich lebenden Männer alles menschenmögliche unternahmen um ihr Weißzeug (das weiße Hemd unter dem Justeaucorps) sauber zu halten. Diese Leute konnten sich das Heiraten nicht leisten. Der Mensch gibt aber ja die Hoffnung zumeist nicht so bald auf. Man hofft schlicht auf bessere Zeiten und versucht anständig zu leben, so gut man kann.

In einem ihrer Briefe beschwerte sich Liselotte von der Pfalz über einen Herrn am Versailler Hof, welcher stänke "wie ein Bock". Das sagt eigentlich alles. Daß sie nämlich etwas anderes gewohnt war und nicht jeder roch. Liselotte schrieb einmal über den Ablauf ihrer Morgentoilette, sie wasche sich allmorgentlich "so guht alß ich kan". Ich las in einem Secundärbuch, man hätte wohl nur einen Zeh eingetaucht und dies wäre die ganze Wäsche gewesen. Es hat damals an den Höfen durchaus auch Idioten gegeben, es gibt die aber auch heute noch. Es mag auch Leute gegeben haben, welche glaubten, Wasser sei schädlich. Über Ludwig XIV. las ich in einem Bildband, er hätte sich allmorgentlich mit Brandwein abreiben lassen (eigentlich keine gute Idee zur Hautpflege). Verbürgt ist dies aber nicht! In Secundärliteratur über Geschichte habe ich genug verfälschende Mutmauscheleien entdeckt. Der Sonnenkönig war in der Tat von wunderlichen Geistlichen und Medicinern umgeben und inspirirt. Das Hofleben in Versailles hatte zum Teil in der Tat etwas Abnormes. Davon aber auf die ganze Generation um 1700 zu schließen, ist barer Unsinn. Insbesondere kann man daraus keine Schlüsse über die Höfe des Römisch-Teutschen Reiches ziehen! Die Versailler Cultur war sehr angesagt, man hat vieles davon auch im Bürgertum des heiligen Römisch- Teutschen Reichs imitirt und als schicklich empfunden. Man hat aber auch die Entgleisungen als solche erkannt und critisirt. Ähnlich wie Leute, welche Hollywood-Glamor mögen, die Entleisugen Hollywoods durchaus critisch sehen.

Es bestand übrigens um 1700 eine ausgeprägte Heilbäder-Cultur im Römisch-Teutschen Reich. In der Originalpresse war ständig zu lesen, dieser Fürst oder jene Fürstin sei zu diesem oder jenen Badeort gereist. Es handelte sich dabei um sehr populäre Heilquellen, doch war dies mehr Cultur und Mode als medicinische Therapie. Denn dort hat sich schichtweg die galante Welt getroffen, gemeinsam gebadet, discutirt und Cultur genossen. Auch Mme de Sevigné machte Badekuren in Frankreich und schrieb darüber, daß es ihr so unangenehm wäre, bei den Anwendungen von Mannspersonen abgespritzt zu werden. Wohlgemerkt, der Mann war das Problem, nicht das Wassser!

Zum Brokat: Man kann diesen Stoff unmöglich in die Wäsche geben. Bis hier hin ist die Information correct. Ja, aber man trägt dieses Zeug nicht alle Tage und vor allem nicht den ganzen Tag lang. Was für idiotische Vorstellungen Historiker heute haben – einfach weltfremd! Wenn sie nicht wirklich bereit sind, sich in die Quellen hinein zu versetzen, können sie auch nicht darüber urteilen. Liselotte von der Pfalz stöhnt einfach nur über die schweren Brokatkleider. Sie trägt diese Sachen nicht, um damit zu protzen – es ist einfach ihre Pflicht bei Staats-Empfängen! Sobald der ganze Staats-Circus vorüber ist, hat sie nichts Eiligeres zu tun, als in ihre Cammer zu gehen und den ganzen Brokat von sich zu werfen. Anschließend ist nichts befreiender, als frisches, luftiges Weißzeug anzuziehen – sei es baumwollend, leinend oder von Seide. Und dies schreibt sie ziemlich oft : Wenn sie von einer Veranstaltung kommt (Jagd, Staatsempfang, Ball, Oper, Comedie, Concert, Tafel etc.), läßt sie sich frisches Zeug bringen.

Bezeichnend ist, daß der Deutschlandfunk, im Rahmen eines Features über Wilhelmine von Bayreuth, ein Badehaus des Bayreuther Hofes als ungewöhnlich abtut. Man ist über das Vorhandensein einer solchen Einrichtung überrascht, wertet dies jedoch nicht als einen möglichen Hinweis für die Reinlichkeit der galanten Generation. Sondern wischt man es gleich wieder weg, um zum eingewurzelten Vorurteil zurück zukehren. Dies sei "eine Seltenheit", worauf das Scheinargument der Gängigkeit eines Vorurteils wieder herhalten muß: "...die Damen und Herren hielten es nicht so genau mit der Körperhygiene". Unterschwellig klingt dies so, als wollte man die Frage aufwerfen, ob dergleichen 'Ferkel' wirklich echte Damen und Herren gewesen sein können. Es klingt nämlich ironisch. Eine Beleidigung jener Generation ist es allemal. Die Umschreibung ist auch ungenau. Bezog es sich speziell auf Hofcultur? In der bürgerlichen Welt waren schließlich ebenfalls Menschen, die als Damen und Herren gelten wollten und in ihrem Stolz verletzlich waren. Wer ist das heute nicht?

Klopfen wir hierzu doch einige Begriffe im "Frauenzimmer-Lexicon" von 1715 ab:

"Badestube, Ist dasjenige Behältniß unten im Hause, worinnen sich das Frauenzimmer zu baden pfleget; Man findet auch fast in allen Städten öffentliche Badestuben, worein die Weibesbilder von schlechten Stande zu gehen und sich daselbst zu baden pflegen."

"Wäscherin, Seynd arme Tagelöhners-Weiber, so die Woche über auf die Wäschen, um das Geld, in die Häuser zu gehen pflegen, die schwartze Wäsche allda einweichen, brühen, schmieren, waschen, ausspielen, ausringen, aufschlagen, treugen und rollen helffen."

"Wäscher-Mädgen, Seynd junge ledige Dirnen, so die eingeschwärtzte Wäsche wöchentlich von denen Studenten- und andern Stuben zusammen zu tragen, selbige zu waschen, und wieder zu überbringen pflegen."

Nun gibt es kein wenn und aber mehr. Wie wir soeben gelesen haben, gibt es 1715 sogar öffentliche Badestuben für einfache Leute! Ansonsten hat man Badestuben in Privathäusern. Ein paar Zeilen darunter, erfahren wir aus dem Frauenzimmer-Lexicon, wie auch gar die Wäsche der Studenten wöchentlich gewaschen worden sei. Das war die Norm! Die Galante Generation achtet sehr auf Anstand und ist überaus pingelig. Obwohl im 21. Jahrhundert Brokat kaum noch getragen wird, hat man auch heute noch Pullover, Jacken und Mäntel, welche nicht zu waschen sind. Es heißt, das Ausschütteln derselben diene ihrer eigentlichen Reinigung. Wenn gewisse Stücke nur chemisch gereinigt werden dürfen, so geschieht dies doch eher selten. Werden spätere Generationen daraus schließen, daß man um Anno 2000 röche....?




Die galante Welt in den Worten der galanten Generation.