Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 13.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Messen mit Elle und Köpfchen

In einem Ausstellungs-Cathalog, über die 1697er Europareise Czaar Peters, ist eine originale Maßtabelle abgebildet. Daß sie tatsächlich aus der Zeit um 1700 stammt, sieht man eindeutig an der Gestaltung des Fractursatzspiegels. Doch was können wir damit eigentlich noch anfangen? Man kann sich die verschiedenen Schuh-Maaße durchlesen ...

„Kön. Pariser Schuh 1440. - Der Rheinländische 1391 3/10 . - Der Römische 1320. - Der Londische 1350. ... Der Leipziger 1397. - Der Bäyerische 1280. - Der Augspurgische 1313. ...“

... hat damit aber noch lange keine lebendige Vorstellung davon. Zwar steht dabei, daß der Pariser Schuh, oder pied du roi, verordnet daselbst von Ludwig XIV, hier Meßgrundlage sei. Man kann sich gewiß auf den Hosenboden setzten, um die 1440 Puncte, in welche der pied du roi unterteilt wird, als Rechengrundlage zu verwenden und etwa errechnen, wieviel der Bäyrische Schuh in Leipziger Linien messe. Es ist aber nicht möglich, die Maßeinheiten um 1700 zu verinnerlichen und zu begreifen, ohne in der Tat damit gemessen zu haben. Ergo gehen wir in unseren Hobbyraum, um uns eine Elle zu basteln. Dort setzen wir uns erst einmal auf die Werkbank und überfliegen die Vorbemerkung zu obgenannter Originaltabelle:

„Unter allen denen so gar verschiedenen ungleich-langen Schuhen, sind insonderheit diese zwey, nemlich: Der Königl. Frantzösische, und der Rheinländische wohl zu bemercken, weil der letzte das ordentliche Ingenieur-Maaß, der erste aber auf Königlichen Befehl durch gantz Franckreich eingeführet worden; dahero auch die anderen alle insgemein mit diesen beyden in eine Vergleichung gestellet werden.“

Wo der Rheinländische Schuh offensichtlich Teutsches Ingenieur-Maaß ist, wählen wir gleich diesen, zumal er annähernd exact dem späteren Preußischen Fußmaß entspricht. Erwähnter Ausstellungs-Cathalog ist so freundlich, uns das ganze in Millimetern auf zuschlüsseln und da mißt der „Preußische Fuß“ 313,8 mm, der Rheinische aber 313,9 mm. Weshalb sich Preußen diese minimale Abweichung leistet, ist nicht klar. Von einer historischen Meßungenauigkeit, oder einem Rundungsfehler auszugehen, wäre höchst vermessen. Angesichts der Tatsache, daß die 324,8 mm des Pariser Fußes bis in 1440 Puncte unterteilt werden, begreift man, wie pingelig in der galanten Welt gemessen und gerechnet wird. Rechnet man den Rheinländischen Schuh in Pariser Puncte um, schenkt man sich keinen zehntel Punct! Die gehen nun wahrlich ins Microscopische.* Doch zurück zum Rheinländischen Schuh:

1. Schuh = 12. Zoll = 144. Linien. **

Erleichtert atmen wir auf: Mit peinlich winzigen Punctmaßen werden unsere ungeschicklichen Finger gottlob nicht befaßt. Eine Linie ist deutlich mehr, als ein mm, was uns nur recht sein kann. Wer wollte auch 1440 microscopische Strichelchen auf eine Holzleiste hinkratzen? Für unsere Elle müssen wir nunmehr nur noch berücksichtigen, daß diese zwey Schuhe lang sei. Ein allgemeingeschichtlich Interessirter belauscht uns eventuell dabei und wendet ein: „Man sagt heute nicht mehr Schuh, sondern Fuß!“ Wieder ist der Zoilus da und macht sich nicht allein wichtig, sondern betätigt sich auch noch als antigalanter Stimmungsmörder! Bevor er einem alles caput unkt, muß man diesen nichtsnutzigen Tropfen zum Stadt-Thor hinaus jagen.Ψ Solche Nörgler gönnen einem nicht die allerkleinste Freude, die wir nunmal empfinden, sobald wir uns in die Quellen der galanten Welt hinein steigern dürfen. Wir aber vollenden ungenirt unsere Elle, um ein wenig damit herum zu messen. Nehmen wir beispielsweise ein DinA4-Blatt aus dem Jahre 2009:

Länge: 11. Zoll und 4. Linien (bzw. 2/3. Zoll weniger als ein Schuh) ; Breite: 8. Zoll und 1. Linie ; diagonal: 1. Schuh, 1. Zoll und 10. Linien (bzw. 2. Linien weniger als 14. Zoll).

Setzen wir uns ruhig hin und basteln irgend etwas, um dabei in Rheinländischen Schuhen, Zoll und Linien zu messen. Bald werden wir dabei merken, daß sich viel leichter damit kopfrechnen läßt. Dank des Zwölfersystems, verfügen wir nämlich über weit mehr Teiler, als im Zehnersystem:

12/2 = 6 ; 12/3 = 4 ; 12/4 = 3 ; 12/5 = 2 2/5 ; 12/6 = 2 ; 12/7 = 1 5/7

Für den Hausgebrauch ist ergo die Elle viel practischer, als das Centimetermaß, solange man die Teiler 5 *** und 7 **** nicht erwischt. Am meisten braucht man ohnehin die Teiler 2 bis 4, wo das Unterteilen von Strecken mittels Elle kinderleicht gerät. Sogar die Teiler 8 und 9 sind noch recht handlich, weil die resultirenden Brüche in einfachen Halben und Dritteln bestehen. Mit dem Taschenrechner sollte man höchstens schwierige Teiler ermitteln - besser noch man erledigt dies kopfschriftlich, um anschließend mit dem Rechner zu überprüfen. Rechenmeister und deren Schüler haben es um 1700 natürlich nicht so einfach, wenn auch die ersten mechanischen Rechenmaschinen bereits im ausgehenden 17. Jahrhundert construirt wurden. Doch die kann man sich in der galanten Welt kaum leisten. Letztlich hilft einem hier nur zweierlei:

Elle und Köpfchen.

Unterdessen wird die Elle uns allmählich zu kurz. Eine Rheinländische Meile müßte man 12.000 Mal damit ausmessen, wobei wir bitter hart zu schwitzen hätten. Selbst unseren Weg zum Supermarkt mäßen wir lieber mit einer Ruthe aus, welche Meßlatte insgesamt 12 Schuhe lang ist. Mißt diese auch 3,77 m, so bliebe der Meßweg bis zum Supermarkt immernoch beschwerlich. Wer ein wirklich großer Bastelfreund ist und zuhause über viel Platz verfügt, kann sich genau so ein Handwägelchen bauen, mit denen die Landvermesser der galanten Welt ihres Amtes zu walten pflegen. Die Zähluhr dieses Wägelchens registrirt pro Umdrehung exact eine Ruthe. Man kann sich aber auch ein handelsübliches Fahrradtachometer kaufen, welches einen Kilometerzähler beinhaltet. Die abgefahrenen km lassen sich leicht in Ruthen und Meilen umrechnen. Nur daß man sich keinen Illusionen hingibt: Es geht hier nicht etwa um Englische Meilen, auf welche Fahrradtachometer durchaus umstellbar sind; für eine Rheinländische Meile muß man 7.533,6 m weit strampeln. Im innerstädtischen Bereich wird man also meist in Ruthen rechnen. In Berlin ergab folgende Fahrradstrecke eine Vierthelmeile, oder 500 Ruthen: Startpunct war das Brandenburger Thor, Ziel der Marstall ***** am 'Berliner Stadtschloß' ******. Der Weg führte demnach unter den Linden entlang durch Dorotheén Stadt, um nach Querung der Spree (Hunde Brücke) die Schloßfreyheit hinunter zu fahren; hat man die Breite Strasse endlich überquert, ist der Zielpunct erreicht. Erst nachdem man diese Strecke vier Male abgefahren hat, ist eine complette Rheinländische Meile bewältigt. Da ahnt man, wozu Siebenmeilenstiefel gut sind.


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* Das Microscop ist um 1700 bereits erfunden.

** In der Tat gehört hinter jede Zahl, ebenso hinter jeden Einzelbegriff, ein Punct. Bei Brüchen steht der Punct nicht hinter jeder Ziffer, sondern am Ende des jeweiligen Bruchstriches. Es steht zu befürchten, daß Scholaren was hinter die Löffel bekommen, wo der Schulmeister die Ärmsten wiederholt dabei ertappt, daß sie einen Punct ausgelassen hätten. Unsereins bedarf der Ohrfeigen nicht, denn uns treibt der Stachel des Ehrgeizes an, die galante Alltagswelt bis in alle Winkel nach zuleben. Dann aber bitte möglichst in Fractur.

*** Wer schlau ist, wechselt bei Teiler 5 zum Centimetermaß. Andererseits entgehen einem so die authentischen Dornen dieses kleinen arithmetischen Hindernislaufes.

**** Bitte nicht 1,7142857 Zoll! Die galante Welt pflegt in Brüchen zu denken, welche ja auch viel anschaulicher sind, als postgalantes Nachcommagewusel.

***** Im 17./18. Jahrhundert besonders gern „Grand Ecurie“ geheißen, wie der Sonnenkönig den Reitstall seiner Guarde ja auch nennt.

****** Das bei uns im 18. Jahrhundert so nicht heißt! Das Areal heißt ganz exact: Churfürstliches und Königliches Schloß, angrenzend an die Städte Berlin und Cölln. Vom Schloß aus gesehen, liegt Berlin jenseits der Spree, das Schloß selbst auf Cöllnischer Seite. Das Schloßareal gehört aber genausowenig zur Stadt Cölln, sondern es steht für sich und die beiden Städte haben sich drum herum entwickelt. In der Alltagssprache der galanten Welt sagt man ab 1701 einfach „Königliches Schloß“. Davor war es das „Churfürstliche Schloß“ gewesen. Aus überregionaler Perspective muß man natürlich „... bey Berlin (und Cölln)“ mit erwähnen, damit klar wird, welche Gegend überhaupt gemeint sei.

Ψ Zoilus wurde in der Antike angeblich gesteinigt, verbrannt oder gekreuzigt. Dies soll aber weniger mit seinen Lästereien im Zusammenhang gestanden haben, sondern es ist die Rede von Vatermord. Vielleicht hat man ihm diese Tat auch nur untergeschoben, um den Lästerer los zuwerden. Wie dem auch sei, wir sind da etwas toleranter ...

1 Rheinländische Meile = 2.000 Ruthen = 24.000 Schuhe (≙ 7.533,6 m)


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