Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 5.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Was kostet das Leben in der galanten Welt?

Der Zahlenhasser sei vorweg gewarnt: Hier wird exactement auf Heller und Pfenning gerechnet! Ältere Computerprogramme und Mobilgeräte können möglicherweise die mathematischen Sonderzeichen nicht darstellen. In diesem Fall bitte die PDF-Version aufrufen.

Im Februarii 1720 rechnet Gotth. August Francke in Jena Unkosten zusammen, verursacht durch seine jüngste „Disputation“. Neben den Druckkosten dieses Werkes befindet sich darunter der folgende Posten:

„Etwas Wein u Confect für die Opponenten – 12. gl.“ *

Im beiliegenden Brief an seine Mutter taucht gottlob ein „ggl.“ auf; somit ist klar, daß es sich in der Tat um Gutegroschen handelt – nicht etwa um kgl. (Käyser-Groschen). Rechnet man diese Sächsischen 12. ggl. in Käysergeldt um, kommt man auf 360. hl. - nämlich Heller (1. ggl. gilt 30. hl. Käysergeldt). Grundsätzlich wäre ein Groschenbetrag in kgl. anschaulicher, wenn man des Herrn Professor Gottfried Rehm, zu Fulda, Preise für Schweinefleisch zurate zieht:

„... um 1700: 18 Pf.“

Würde dieser Preis speciell auf Fuldische Währung gemünzt sein, kaufte das 21. Jahrhundert im 18. Jahrhundert bald das Korn auf**, deshalb werden hier in der Tat 18. dl. (übliches Kürzel für Pfenning – lateinisch Denarius) Käysergeldes veranschlagt: 1. kgl. gilt 12. dl. – bis auf 18. dl. verbleibt also ein Rest von 6. dl., welcher exact einen haben Groschen macht. Aus einem Werbeblatt des Jahres 2009 lacht uns „Schweinebauch“ zu „1,50 € je 500g“ entgegen. In Bezug auf Professor Rehms Schweinepreise kann man ergo schätzen:

1½. kgl. ≈ 1½ € ***

Das ist überaus sehr practisch, denn so bekommen wir eine recht handgreifliche Vorstellung vom Kaufwert eines Reichsthalers. Doch damit sind wir noch nicht am Ziel, denn wir müssen ja von Gutegroschen ausgehen – eben nicht von Käyser-Groschen. In Bezug auf Herrn Franckes „Wein u Confect“ gilt hier:

12. ggl. ≠ 12. kgl.

1. kgl. macht nämlich nur 24. hl. (oder 12. dl.) Käysergeldes - ergo müssen wir umrechnen (Smartphones und veraltete Programme zeigen in der 2. Zeile oft mathematische Zeichen nicht an):

12. ggl. 30. hl. 360. hl.

360. hl. 24. hl. 12. ggl. 15. kgl.

Gemessen an den obgemeldten Schweinepreisen, dürfen wir also davon ausgehen, daß Herr Francke etwa 15 € für „Wein und Confect“, zwecks Tractament seiner „Opponenten“ aufgewendet hat. Aus dem Brief geht hervor, daß besagter Disputation, neben Professoren und Studenten, noch etliche Gäste beiwohnten. Nach galanter Sitte handelt Herr Francke hier richtig, denn ...

„... so nennet man es doch eine Assemblée oder eine Zusammenkunft mancherley Leute/ denen man eine Ehre antuhn/ oder sich mit ihnen ergötzen will.“ - „... da man zum wenigsten mit Wein und Confect tractiret/ ...“ **** (Tanzmeister Louis Bonin, 1712).

Wir aber schauen nun ein wenig weiter. In Käysergeldt macht 1. Rthlr. (Reichsthaler) stolze 30. kgl. - nach dem Maßstab vorbesagten Schweinepreises dürfen wir also von etwa 30 € ausgehen. - Nur vorsicht : bei der Größe Rthlr. handelt es sich um eine reine Rechengröße, eben Buchgeld! Bei einem geprägten Thalerstück handelt es sich um eine Silbermünze, die 40. kgl. Wert ist. Preisangaben in gemüntzten Thalern lauten „Speciesthaler“ oder „Reichsthaler Species“. Zeichnet der Kaufmann etwa nur „Thlr.“ aus, will er vielleicht einen niedrigeren Preis vortäuschen und man sollte ihn fragen, ob er für die Ware etwa Speciesthaler berechnet. Dies als gut gemeinte Warnung, damit der arglose Zeitreisende nicht etwa um den Factor 10 € geprellt werde ...

Nicht wenige Reenacter werden diese Lectüre eh längst weg geclickt haben, weil sie ihnen allzu trocken, bzw. zu unkokett vorkommt. Nicht desto trotz kommen wir nunmehr zu jenen Preisen, die ein Cavalier für Oberbekleidung ausgeben muß, wenn er einen guten Eindruck erwecken möchte. Der bereits citirte Louis Bonin rät dem angehenden Tanzmeister dieses:

„Ein sauber Kleid/ daran er die Ele vor drey/ vier oder mehr Thaler bezahlet/ ein schöner seidener Strumpf/ sauberer Schuh/ Hut/ Peruque/ und weiße Wäsche/ das giebt den Leuten/ schon zu verstehen/ daß er mehr als was gemeines seyn mus/ durch solche wolanständige modeste Kleidung/ wird er sich überall Gewogenheit zu wege bringen.“

Damit wir gleich nicht in Ohnmacht fallen, gehen wir lieber von Bonins Mindestpreis von 3. Thlrn. die Elle aus. Wir wollen ja nicht protzen, sondern „wolanständig“ und „modest“ erscheinen. Eine Elle mißt knapp über 60 cm: Für Vorder- und Rückenteil veranschlagen wir ergo zwo Ellen, für die Ärmel und Hose schlagen wir noch eine dritte Elle dazu – summa summarum 9. Thlr. Für den Justeaucorps (Herren-Überrock) plus Hose, dürfen wir dem Schneider (gemäß unserer Schweinepreise) schätzungsweise satte 270 € hinblechen, was dem einen oder anderen Zeitreisenden choquant vorkommen mag. Zudem fehlen uns immer noch Strumpf, Weißzeug, Hut, Schuhe, Peruque, sowie eventuell noch ein Degen dazu ...

Lassen wir das - schauen wir lieber in den „Wöchentlichen Mercurius“ der Braunschweiger „Ordinari Post=Zeitung“, der 41. Woche von „Anno 1700“:

„ Zur Nachricht dienet/ daß im Zilligerischen Buch=Laden zu haben/ des William Hanemans Verwunderlich=Englischer Wahrsager/ oder ausführliches Prognosticon des 1701. Jahres ect. In Augspurg gedruckt und gebunden/ kostet vier Gutegroschen.“

Auch wenn wir uns damit als naseweis entblößen, sollten wir im Buchladen einmal nachfragen, ob der gute Herr Zilliger nicht vielleicht Mariengroschen meine? Denn dies sind die im Raume Braunschweyg, Lüneburg, Hannover ect. üblicherweise geprägten und verhandelten gl.-Münzen. Mariengroschen gelten nur 20. hl. Käysergeldes und sollte Herr Zilliger ordendlicher Weise 4. ggl. haben wollen, müßten wir ihm ganze 6. Mariengroschen auf seinen Ladentisch hinblechen! Betrügerische Absicht wollen wir ihm dennoch nicht unterstellen. Denn wer braucht schon dieses Buch? Da erdreistet sich jemand im Anno 1700, den vermutlichen Ausgang des Jahres 1701 zu prognosticiren. Das ist politisch gewiß interessant, doch spätestens zu Sylvester 1700 werden wir eh alle klüger sein und niemand wird dieses Buch mehr anrühren wollen. - Der „Wöchentliche Mercurius“ der 10. Woche, „Zur Ordinari Post=Zeitung“ ist zwar bereits alter Käse, doch wenigstens war da richtig was los:

„Hierbey ist zu haben : 1. Extract-Schreiben aus Copenhagen/ de dato 24. Julii 1700. wegen Bombardirung der Flotten ect. vor 4. Pf.“

Nun, Anfang 1700. waren Königlich=Dänische Trouppen bei dem Herzogen von Holstein=Gottorff eingerückt, was sogleich die alliirten Garantiemächte Schweden, Engelland, Generalstaaten (Holland) und Braunschweyg=Lüneburg auf den Plan rief. Es kam also zu einem richtigen internationalen Friedenseinsatz, bei dem nicht allein zu Lande ins Holsteinische eingerückt wurde, sondern auch eine vereinigte Flotte der beiden Seemächte (Engelland und die Generalstaaten) sowie Schwedens vor Copenhagen auftauchte. Großen Spaß wird obige Sonderausgabe dem Braunschweygischen Leser allerdings kaum bereiten. Die alliirten Versuche, den Hafen Copenhagens, einschließlich der Dänischen Flotte, zu bombardiren, gerieten zunächst zur Farce, denn die Dänen bestückten etliche Lastkähne mit schweren Carthaunen, sodaß die alliirte Übermacht, etwas lädirt, wieder abdrehen mußte. Dennoch wurde dieses ganze Drama in recht riesigen Buchstaben gesetzt, sodaß tatsächlich zwei Seiten voll geworden sind (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Da uns 4. Pfenninge aber nicht sonderlich schmerzen, greifen wir dennoch zu – dabei ist uns auch völlig wurscht, ob es sich etwa um Gutepfennige, Marienpfennige, oder Käyserpfennige handelt. Im August wird man wieder in uns dringen:

„Hierbey ist zu bekommen : Der Friedens=Schluß zwischen Ihr. Königl. Majest. zu Dännemarck/ ect. und Ihr. Hochfürstl. Durchlaucht zu Schleßwig=Holstein=Gottorff/ ect. geschlossen zu Travendahl den 18. Augusti 1700. Kostet 1. Ggr.“

Man hat tatsächlich dieses ganze Vertragswerk verteutscht und gedruckt, einschließlich der „fünff Seperat-Articuln“. Es würde allzu weit führen, das alles hier ein zurücken, diese eine Passage zieht uns jedoch in den Bann, weil es immerhin ja doch um viel Geld geht:

„... so haben Ihro Königl. Majest. aus Freund=Vätterlicher Affection und Gewogenheit gewilliget/ daß Sie Ihro Durchl. zu Holstein=Gottorff/ die Summa von zweyhundert und sechszig tausend Reichsthalern an guten vollgültigen Dähnischen Cronen ...“

Inzwischen ist die Alliirte Übermacht, ein wenig abseits von Copenhagen, an der Dänischen Küste gelandet und Ihrer Majestät von Dennemarcken bleibt gar nichts anderes, als freund=vätterlich gewogen zu sein. Geschätzte 7,8 Mio. € (gemessen an obigem Schweinepreis) sind in der galanten Welt eine gewaltige Summe. Irgendwo muß das Geld herkommen und so ist zu befürchten, daß die Dänische Crone ihre Untertanen mit Sonderabgaben beschweren wird ... Irgendwo stand in dieser Zeitung einmal die Meldung, daß in Schleßwig 6. Rthlr. Contribution, monatlich auf jeden Pflug, ausgeschrieben seien, nebst anderen Abgaben – doch dort hat man von Königlich Dänischer Seite ja nichts mehr zu befürchten. Hoffen wir, daß wenigstens die Ernte so ausfällt, wie in Halland:

„Hier ist GOtt Lob eine wolfeile Zeit/ 1. Tonne Roggen gilt nach unserm Geld 12. Marck/ und ein Tonne Haber 4.“

Machen wir's kurz: 12. ml. Schwedisch macht 44. kgl. - Da wir aber ja für den Schneider sparen, essen wir lieber Müsli: Eine Schwedische Tonne (lt. Mathebuch von 1848 : 146½ Liter) Halländischen Habers macht (nach unsrer Schweinerechnung) 14,67 €. - Na bitte! - Mit dieser Correspondenten-Meldung, vom 31. October 1700, wollen wir unsere monetäre Sonderausgabe beschließen. Dem fleyssigen Leser bleibt zu wünschen, daß die neuerworbenen Rechenkünste ihm viele Reichs=Ducaten***** eintragen mögen. Wer davon noch nicht genug hat, kann diesen Reichs=Ducaten in Käyserliche Kreutzer umrechnen, von denen drei Stück einen Käyser=Groschen machen ...


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* Francke trägt den Betrag in die Groschen-Spalte ein und setzt zwischen die Spalten üblicherweise Doppelpuncte. Da die galante Generation ansonsten hinter jede einzelne Zahl einen Punct setzt, wurde dieser – der guten Ordnung halben – an dieser Stelle beigefügt. Der Nachwelt diene dies zur Nachricht, wie Sittenstreng respect. ordnungsbeflissen das frühe 18. Jahrhundert doch sei, wo ein jegliches an seinem rechmäßigen Platze befindlich.

** Laut Prof. Rehm macht der Kreutzer in Fulda nur 2. dl., damit kostete Schweinefleisch in Käyser=Geldt ganze 36. dl., wodurch der € im Verhältnis zum Rthlr. derart purzelte, daß die Tonne Dänischen Hafers unter 8 € sänke – ebenso wie Wein und Confect zusammen nur noch 7,50 € kosteten.

*** Toleranter Weise muß darauf Rücksicht genommen werden, wie die Nachwelt doch mit Puncten geizt. Bei Zahlen mit Brüchen gilt in der galanten Welt stets, daß der Punct erst nach dem Bruchstrich erfolgt. In Bezug auf das Gewicht schwankt das Pfund (regional bedingt) um die 500g-Grenze herum (lt. Mathematik-Lehrbuch von 1848), sodaß der Vergleich mit 2009 in etwa möglich ist. Um den Wechselcurs Rthlr./€ künftig noch exacter festlegen zu können, werden derzeit Preislisten mit Gütern und Waren erstellt, wozu eine Vielzahl von Quellen durchforstet wird.

**** Bonin nennt hier als Beispiel ein Collegium Musicum. Bei Franckes „Disputation“ handelt es sich offensichtlich um die Präsentation einer academischen Streitschrift, im Zusammenhange mit einem Vortrag, wobei selbstredend entsprechendes gilt. „Opponenten“ nennt man die Teilnehmer einer Diskussion auch dann, wenn diese keineswegs opponiren. Nach dem, was Francke berichtet, hat seine „Disputation“ ihm nichts als Lobreden eingebracht.

***** Dieses Goldstück macht 2⅔. Rthl., oder 2. Thaler species; sein Reinheitsgehalt des Goldes ist, im Gegensatz zum Reichsgulden (abgekürzt fl.), hoch. Es gibt im heiligen Römisch=Teutschen Reich übrigens noch schrecklich viele Münzen, wie etwa Batzen, Kopffstücke, Landmüntzen, Ort, regionale Marck-Währungen ect. ...

P.S.: Wir rechnen hier nach dem Müntz=Probations=Convent, welcher Anno 1709. den 22. Februarii zu Nürnberg gehalten ward, wonach der Fuß des Ducaten à 4. fl. und des Reichsthalers à 2. fl. lautet. Der unermüdliche Rechenmeister Georg Heinrich Paritius bringt noch im selben Jahr sein „Cambio Mercatorio“ heraus, was auf galantewelt.de ein Jubel ist, allwo wir das Jahr 1709 tatsächlich schreiben.


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