Vidi, audi, dixi.

- Allsonntäglich -

Nr. 10.


Anno '09.


Ausgaben:

Project „GalanteWelt“

Galante Peruque

Generalbaß-Musik

Lully – Corelli

Auf Heller & Pfenning

Schrot und Korn

Historischer_Tanz

Museumsbesuch

Galante Epoche?

Warum galante Welt

Wider das 'b'-Wort

Histor. Correspondenz

Messen & rechnen

Reenactment

Der Schreibmeister

Gutnachbarschaftlich

Künftige Erscheinung

Galante Reinlichkeit

Diktatur der Historiker

Ist der Begriff galante Welt authentisch?

„Die heutige galante Welt hat ihre Vollkommenheit bey nahe erreichet/ indem man alle Künste und Geschicklichkeiten dergestalt floriren siehet/ daß man öffters urtheilet/ es schiene unmöglich/ daß der menschliche Verstand einen höhern Grad erreichen könnte.“ (Louis Bonin, „Die neueste Art zur Galanten und Theatralischen Tantz-Kunst“, 1712)

Im Grunde genommen könnten wir das Thema mit diesem Citat beschließen, weil ja doch alles damit gesagt ist: Bonin redet hier nicht im engeren Sinne der galanten Welt (nämlich die Welt der galanten Compagnien bzw. Circel). Der Tanzmeister meint eindeutig, die Gegenwartsrealität der Welt des frühen 18. Jahrhunderts. Natürlich bedient er sich dabei einer eurocentrischen Sichtweise. Die 'b'-Fanatiker thematisiren ja auch nicht etwa: „Das 'Barock' der australischen Aborigines“. Im übrigen denkt jeder Mensch ich-centrisch und kann höchstens versuchen, sich in das Fremde hinein zufühlen. Seien wir authentisch und bleiben im hier und jetzt: Hier ist das heilige Römische Reich Teutscher Nation - jetzt ist das frühe 18. Jahrhundert.

Bonin spricht von „bey nahe“ währender „Vollkommenheit“, in Bezug auf die „heutige galante Welt“ und meint damit die Moderne des frühen 18. Jahrhunderts. Nur so kann man die Galanterie begreifen, daß sie die sprichwörtliche Moderne ihrer Zeit darstellt. Aus diesem Grunde ist der Begriff galant ein geflügeltes Wort - in der galanten Welt auf so ziemlich alle öffentlichen und privaten Lebensbereiche angewendet. - Indes gibt der Zoilus noch lange nicht Ruh, höhnend: „Und was ist die Galanterie des Landvolkes bzw. der Mägde und Knechte?“ Doch dies heißt noch lange nicht die galante Welt aus den Angeln gehoben! Sondern es zeigt sich lediglich das sociale Ungleichgewicht der galanten Zeit: Daß nämlich die kleinen Leute rein garnichts zu melden haben und die öffentliche Welt eben von den höfischen und bürgerlichen Kreisen bestimmt wird. In der galanten Zeit wird dies durchaus von einigen critisirt und wir sollten uns dieser Critik anschließen.* Schauen wir nunmehr in einen galanten Liebesroman. Hier hat sich das Attribut galant bis ins 21. Jahrhundert gehalten, denn die Literaturwissenschaft spricht in der Tat von galanter Literatur – womit tatsächlich unsere galante Generation gemeint ist. Besagten Roman beginnt der Autor (heute unter seinem bürgerlichen Namen Hunold bekannt) mit folgendem Gedicht:

„... Denn was die Tugend kan vor Wunder-Wercke weisen/ Wie sich Geschicklichkeit mit Pracht und Klugheit küßt/ Muß auch die Warheit selbst bey Euch vollkommen heissen/ Und spricht/ daß diese Stadt galant und treflich ist. ...“ (Menantes unter der Überschrift „An das galante und annehmliche Hammonische** Frauenzimmer.“ Zu finden in seiner „Die verliebte und Galante Welt“ in der Auflage von 1707; die 1te Auflage erfolgte 1700)

Menantes beginnt dieses Gedicht unter anderem mit dem Ausruf „Ihr Rosen dieser Stadt“, er meint also tatsächlich einen geographisch definirten Wohnort. Aus den Versen geht deutlich hervor, daß es sich um einen echten 'Zeitspleen' handelt, der von einer jungen Generation vorangetrieben wird. Bis September 1700 war Hunold 18 Lenze jung – man spürt förmlich, wie sein junger galanter Fanatismus übersprudelt, er kaum an was anderes zu denken scheint. Von der Literatur gehen wir nun zur galanten Music. Auch hier sucht Zoilus in der galanten Welt Verwirrung zu stiften, indem er wiederum stänkert: „Aber Galanteriemusik kommt doch später, das war doch erst im Rokoko!“ Vielleicht ist unser Zoilus in diesem Punct einfach nur ahnungslos und hat den Heinichen nicht gelesen:

„... so hat derjenige nicht nöthig/ nach öffterer Gewohnheit sich ein oder mehr Jahre mit Erlernung vieler Suiten und Præludien auffhalten zu lassen/ welcher nur allein den General Bass, nicht aber à part die Galanterie auff den Clavier zu erlernen suchet. Denn diese kan er auch allenfalls mit bessern Nutz nachholen/ oder vielmehr beyher führen: so viel Galanterie aber und Application der Finger/ als man in jenen/ nemlich den General-Basse, nöthig hat/ solches giebet sich bey Erlernung dessen von sich selbst. ... nechst diesen mag er kaum eine oder etliche wenige Menuetten in die Faust gebracht haben ...“ (Johann David Hein(i)chen, „Neu erfundene und Gründliche Anweisung ... des General-Basses“, 1711)

Heinichen regt an, zunächt das freie Generalbaß-Begleiten zu lernen, um galantes Repertoire (im galanten Teutschland vorzugsweise Menuets) später nach zuholen. Eingangs spricht er von „Suiten und Præludien“, woraus galante Music ja besteht: Aus galanten Tänzen, welche gern (in Suiten zusammengefaßt) präludirt werden, womit das einleitende Vorspiel gemeint ist. Heinichen schätzt wohl mehr die Sonate, wo der Generalbaßspieler optimal gefordert wird. Dennoch kommt er nicht daran vorbei, daß die modische Welt seiner Zeit eben auch in Sachen Musikgeschmack vor allem galant tickt. „Galanteriemusik“ ist nicht erst im 'Rokoko' entstanden! Die spätere Generation um 1750 greift das Schlagwort galant freilich auf und verwendet es weiter. Aber da ist es keine Sensation mehr, welche die Welt in Unruhe versetzt (wie man ja auch steinernes Material verwendet, ohne die Steinzeit fort zuschreiben!).

Zoilus, d.h. die Critiker im 21. Jahrhundert, mögen unsere galante Welt nicht: Vernunft, Anstand, galante Civilisirtheit, ist ihnen zuwider. Das civilisirt-sein ist absolut eine centrale Forderung der Galanterie. Und dies beißt sich mächtig mit den Philosophien Jean-Jacques Rousseaus, Friedrich Nietzsches, sowie der 1968er. Es beißt sich gleichwohl mit dem Sturm&Drang, insonderheit mit dessen ausufernden Empfindungswogen, weil die Galanterie vernünftiges Maßhalten fordert, das dergleichen Aufwallungen stets umschränken soll. Daraus folgt, daß Zoilus mit dieser Gazette reine Zeit verschwendet. Sie erscheint ohnehin speciell nur für Galanterie-Affine. - Nachdem Zoilus sich endlich getrollt hat, fahren wir mit einem Citat von Meletaon fort:

„Die Menschen von beyderley Geschlechte/ machen sich vortrefflicher/ wo sie nach der heuntigen Welt artig leben ...“ (Von der Nutzbarkeit des Tantzens, 1713)

„Artig“ darf man hier um Gotteswillen nicht mit gehorsam übersetzten, etwa wie man später Kinder zu Artigkeit anhält! Nein, es ist ein galanter Begriff und absolut positiv gemeint. Das junge Frauenzimmer sagt von einem jungen Cavalier etwa: „Der ist artig!“ - Nicht etwa, daß jener sich wie ein folgsamer Bub gebärdet, sondern sie meint damit, daß sie ihn anziehend findet, weil er eben nach Art galanter Mode erscheint. Und wenn in dem jungen Cavalier ebenso die Hormone verrückt spielen, wird er seine Angebetete als genauso artig empfinden. Gerade deshalb muß er sein Triebleben galant umschränken, weil er andernfalls weder galant, noch artig wäre, sondern schlechterdings ein geiler Schwerenöter. Was man in der galanten Welt eben nicht vorstellen möchte.***

Beschließen wir diesen Articel mit einem weiteren Ausspruch aus obgenanntem Buche vom Tanzmeister Louis Bonin, welcher genau weiß, welcher Grundton die Manieren seiner Zeit prägt. Was er auf den Seiten 40 und 41 folgendermaßen veranschaulicht:

„... wer die heutige Welt/ nach ihren Eigenschaften betrachtet/ der wird befinden/ daß ausser der Gelehrsamkeit/ noch dieses Kunst-Stücke übrig/ wie man sich in die Leute schicken/ und bey Unterhaltungen deroselbigen/ eine galante Aufführung bezeigen soll. ... Überall giebt man Achtung auf Leute/ die eine gute Conduite und galante Auffürung/ mit denen man viel lieber umgehen wird ...****“

Sein Eingangscitat hatte bereits sattsamlich bewiesen, daß die Zeitbenamung „galante Welt/ galante Zeit/ galante Generation“ kein Phantasieproduct von galantewelt.de ist, sondern wir genau jene Begriffe übernehmen, mit denen die galante Generation ihre eigene Welt beschreibt. Nur so kann man da einsteigen. Nur so versteht man diese Zeit wirklich. Wer sich der authentischen Sprache bedient, beendet sein Dasein als Zaungast der Galanterie. Was gibt es für den Liebhaber des frühen 18. Jahrhunderts A r t i g e r e s , als sich dort mitten drin aufzuhalten?


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* Sonst würde unser galanteWelt-Project in grausamen Socialrevanchismus entgleiten, welcher sich bis in Hexen-Excesse hinein steigern ließe. Dies aber wäre bereits faschistoid, was mit den galanten Idealen nicht correspondirte: Galanterie verpflichtet absolut zu Aufgeschlossenheit, Toleranz und Modernität! D.h. die Galanterie um 1700 läuft der offenen Gesellschaft um 2000 keinesfalls zuwider, sondern zielt sogar darüber hinaus ...

** „Hammonische“ steht da so. Beim jungen Herrn Hunold muß die galante Damenwelt artige Wirkungen hervorrufen, denn „hammonitrum“ bedeutet im Lateinischen eine „Mischung aus Sand und Soda“! Hat der Setzer hier nicht vielleicht doch ein „Harmonische“ verdunkelt?

*** Heimliche Excesse müssen stets versteckt ablaufen. In der galanten Welt kann man dafür durchaus gerichtlich belangt werden, da außereheliche Sexualität nicht zugelasssen ist. August der 'Starke' ist übrigens kein Normalfall, doch selbst er erntet für seine 'artige' („artig“ wird auch ironisch verwendet) Lebensweise Citik. Hier ist das 21. Jahrhundert einfach galanter (!) - indem man vernünftige Sexualität toleranterweise lediglich empfiehlt, anstatt sie erzwingen zu wollen.

**** Um 1715 bekommt man auf dem Arbeitsmarkt schwer eine anspruchsvolle Stelle, wenn man keine galante Conduite vorzuweisen hat. Da ist der zuvor citirte Hunold weit über 30 Jahre alt und seine galante Generation bestimmt die gesellschaftlichen Normen.


Die Generation um 1700 schießt zurück!